Johann Sebastian Bach

Sonaten und Partiten (BWV 1001-1006)

arr. für Viola, Atilla Aldemir (Viola)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cybele Records 231903,
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 84

Ist es sinnvoll, Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo auf der Viola zu spielen? Attila Aldemir wagt es – und gewinnt! Seine Doppel-CD erfreut sich nicht nur einer Alleinstellung gegenüber der Flut von Violin-Einspielungen, sondern bringt auch einen Mehrwert an Hörfreude. Bachs Solowerke klingen eine Quinte tiefer transponiert runder, ohne die Schärfe der Sopranlage und lassen bei längerem Hören deshalb nicht den Wunsch nach einem Bassfundament aufkommen.

Aldemir ist ein versierter Virtuose. All die schwierigen Doppelgriffe, Akkorde, Läufe, die selbst auf der Violine nur schwer zu greifen sind, gelingen ihm auf der größeren Bratsche scheinbar mühelos. Mag sein, dass ihm sein Instrument dabei half: Auf dieser CD ist die 1560 gebaute Viola Pellegrino di Micheli zu hören, die einen klaren, hellen, aber in den tiefen Lagen auch intensiv dunklen Klang hat.

Aldemir verwendet einen Barockbogen. Dadurch liegt der Fokus seines Spiels auf der klaren Artikulation, nicht auf Klangvolumen. Ihm liegt es fern, Doppelgriffe und Akkorde wie ein „Orchester“ ertönen zu lassen. Vielmehr realisiert er Bachs „virtuelle“ Mehrstimmigkeit und Polyfonie als Andeutung.

Die Tempi wählt er eher langsam, was dem Hörer hilft, dieser erstaunlichen Musik in allen ihren Details besser folgen zu können. Motive und Figuren werden von Aldemir als Klangrede im Sinn Harnoncourts artikuliert. Dadurch wird auch der Charakter der Tanzsätze plastisch herausgearbeitet. In der Fuga der Partita I entfaltet sich vor dem Hörer ein polyfones Geflecht: Aldemir gelingt es durch seine Artikulation und das genau richtige Timing, dass der Hörer diese angedeutete Polyfonie in seinem eigenen Kopf zu einem mehrstimmigen Satz zusammenfügt.

Da Aldemirs Spiel von Leichtigkeit und Behändigkeit bestimmt wird, wirkt Bachs Musik luzid, rokokohaft und in der Arpeggio-Passage der Chaconne fast schon impressionistisch. Wenn der türkische Geiger und Bratscher, der in Leipzig lebt, dieses Violinvirtuosen-Paradestück spielt, dann erscheint das bei ihm gar nicht so schwer zu sein, ist vielmehr von einer befreienden Leichtigkeit und dem Spiel verschiedenster Klangfarben geprägt. Aldemir eröffnet so einen neuen Zugang zu Bachs Solosonaten. Er befreit sie von Pathos, deutscher Schwere und Virtuosen-Attitüden. Vielleicht gelingt ihm das so überzeugend, da ihm die Viola eine neue Perspektive auf diese Musik eröffnet und da er, aufgewachsen in Istanbul, einen Blick von „außen“ auf Bach werfen kann.

Im Interview im Beiheft dieser CD erklärt Aldemir erfrischend persönlich, was ihn fasziniert: das Instrument, das vor Bachs Lebenszeit gebaut wurde, und die besondere Aura des Raums der Einspielung, nämlich der St. Agnes Kirche in Köthen, in der sicherlich auch schon Bach gewesen war. Über Bachs Musik freilich erfährt der Leser wenig. Sie zu kennen, wird vorausgesetzt. Dabei hat Aldemirs Spiel durchaus das Zeug, nicht nur Kenner, sondern einen jeden anzusprechen.

Franzpeter Messmer

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