Ludwig van Beethoven
Sonaten für Klavier und Violine I und II
Urtext, hg. von Clive Brown, Partitur mit Stimme
Wie kann Beethovens Musik neu und frisch für unsere Zeit entdeckt werden? Im Beethoven-Jahr 2020 war diese Frage aus verschiedensten Perspektiven zu beantworten. Doch viele Konzerte konnten wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Warum dann nicht einmal versuchen, die Noten anders als gewohnt zu lesen? Die neue Urtext-Ausgabe von Beethovens Violinsonaten ermöglicht einen vom Ballast der Jahrhunderte freien Zugang, ganz nah am ursprünglichen Notentext.
Diese Publikation ist allerdings mehr als eine reine Notenausgabe, was sie von der Urtextausgabe des Henle-Verlags unterscheidet. Sie ist auch ein Buch zur historischen Aufführungspraxis bei Beethoven. Zu Beginn der beiden Bände gibt Clive Brown einen Überblick über Ausgaben im 19. Jahrhundert und beschreibt fundiert und konzis die Entstehungsgeschichte der einzelnen Sonaten. Brown verfolgt die für Beethoven wichtigen Violinspiel-Traditionen, zeigt beispielsweise die Bedeutung des Geigers Rodolphe Kreutzer für die Entstehung der Sonaten von Opus 12. Brown gelingt es, den Leser so nah, wie es die Quellen ermöglichen, an das Violinspiel der Beethoven-Zeit heranzuführen.
Auf die historische Einführung folgt ein Essay, den jeder Beethoven-Interpret lesen sollte: „Beethovens Notation – zwischen den Zeilen gelesen“. Brown zeigt, dass Beethovens Notation nicht wortwörtlich genommen werden darf, und was es damals bedeutete, nicht nur „korrekt“, sondern „schön“ zu spielen. Zu einer Zeit, in der Klassik-Musiker vor allem auf dem Podium für ihre Improvisationen bewundert wurden, gab es Freiheiten im Umgang mit dem Notentext, die heute nur im Jazz bestehen. Im Anschluss erläutert Brown zahlreiche Aspekte der Aufführungspraxis, von Tempo, Punktierungen, Dynamik, Akzenten, Artikulation, Verzierungen bis hin zur Bogenführung.
Die Violinstimme wird zweifach geliefert, zum einen im Urtext, zum anderen eingerichtet mit Fingersätzen und Bogenstrichangaben gemäß Browns intensiver Forschung zum Geigenspiel der Beethoven-Zeit. Am Ende der beiden Bände erscheint zu jedem Satz, allerdings nur auf Englisch, eine Übersicht der Metronom-Angaben in späteren Ausgaben. Diese Übersicht zeigt, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts ein immer langsameres Tempo gewählt wurde.
Im Anschluss dokumentiert der „Critical Report“ ausführlich und genau Fragen des Herausgebers bei unklaren Stellen in den Quellen. Wer noch genauere Informationen wünscht, findet diese im Performing Practice Commentary im Web (https://www.baerenreiter.com/shop/produkt/details/ BA9014).
Diese Ausgabe macht musikwissenschaftliche Forschung transparent und nachvollziehbar, für die musikalische Praxis im Konzert und für den Unterricht nutzbar und gibt Musikern das Handwerkzeug für einen direkten und frischen Zugang. Ein Leuchtturm-Projekt des Beethoven-Jahres 2020!
Franzpeter Messmer
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