Brahms, Johannes
Sonate op. 120 Nr. 1
entwickelt zu einer Kammersinfonie für Solo-Klarinette und Kammerorchester von Mathias Weber, Partitur
´Bearbeitungen haben Konjunktur. Immer häufiger begegnet man bei CD-Neueinspielungen Kompositionen, die nicht in der ursprünglichen Besetzung interpretiert werden, oder neuen Notenausgaben, die Arrangements bekannter Werke enthalten. In der Musikgeschichte wurden Bearbeitungen zu jeder Zeit angefertigt, sie dienten häufig u.a. der Verbreitung von Kompositionen in einem medial noch nicht erschlossenen Zeitalter. Ein musikalisches Kunstwerk in einem anderen Gewand erscheinen zu
lassen, ist unter Beibehaltung seiner charakteristischen Eigenschaften nicht allzu schwer zu bewerkstelligen und heute dank exzellenter Notenschreibprogramme schnell auszuführen. Dies kann dazu führen, dass Kompositionen einer gewissen Beliebigkeit anheimfallen und der Respekt vor dem Werk als einer bewussten künstlerischen Entscheidung verlorengeht.
Deshalb muss die Frage erlaubt sein, was Mathias Weber, Professor für Klavier am Hamburger Konservatorium, veranlasst hat, die Sonate f-Moll für Klarinette und Klavier op. 120 Nr. 1 von Johannes Brahms zu bearbeiten. Ist es der Wunsch, mit einem Kammerorchester mit einfach besetzten Holzbläsern inklusive Kontrafagott, Horn, Trompete, Harfe und Streichern ein größeres Klangvolumen mit intensiverer Ausdrucksstärke zu schaffen und zugleich mehr Klangfarben ins Spiel zu bringen? Soll die Struktur des Werks erhellt werden? Gibt es eigenschöpferische Ansätze bei der Gestaltung?
Die Bearbeitung von Mathias Weber ist in erster Linie eine Instrumentation, die den Klarinettenpart bis auf wenige Stellen, an denen eine Phrase in eine andere Stimme verlegt wird, in der Originalfassung beibehält. Die Orchestrierung des Klavierparts hält sich in der Satzdichte eng
an das Original. Entsprechend der Struktur der Musik erfolgt häufig ein Wechsel der Instrumentengruppen. Interpretatorische Eingriffe zur Verdeutlichung von motivischer Arbeit unterbleiben. Viele Lösungen bei der Wahl der Instrumente liegen auf der Hand, besondere Instrumentenkombinationen werden vermieden. Es gibt kleine Ungeschicklichkeiten, wenn z.B. Flötenpassagen zu tief liegen und Motivwiederholungen mit Echowirkung dynamisch nicht ganz zur Wirkung kommen. Fragwürdig erscheint die Verwendung der Harfe, deren Klangkolorit Brahms eher fremd ist.
Entscheidend ist aber, dass insgesamt die Hinzufügung und der Wechsel von Klangfarben die Kompaktheit des Ausdrucks und die gedankliche Dichte des originalen Klavierparts schwächt. Dies trifft übrigens prinzipiell auch auf die bereits vor Webers Bearbeitung entstandene Fassung der Sonate f-Moll für großes Orchester und Klarinette solo zu, die Luciano Berio 1990 als opus 120 ausgearbeitet hat. Berio hat darin zumindest Eigenes hinzugefügt und ist zu interessanteren Instrumentationen gekommen.
Die vorliegende Entwicklung von Brahms erster Klarinettensonate zu einer Kammersinfonie würde als gelungene Instrumentierungsaufgabe im Kompositionsstudium ihren Zweck erfüllen, darüber hinaus kann man ihr keine neuen Erkenntnisse abgewinnen.
Heribert Haase