Auerbach, Lera

Sonate Nr. 3

für Violine und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Sikorski, Hamburg 2010
erschienen in: das Orchester 03/2011 , Seite 64

Über Lera Auerbach und ihre Blitzkarriere berichtete ich zuletzt Ende 2007, als ich ihre beiden Stücke für Violine und Klavier Ostolki und Postludium vorstellte. Der Aufstieg der erst 37-jährigen, in Tscheljabinsk geborenen und in den USA und der Bundesrepublik ausgebildeten Russin, dieses so hochbegabten Multitalents – sie ist Star-Komponistin, gesuchte Konzertpianistin und preisgekrönte Poetin in einem –, hat sich seitdem schier unaufhaltsam fortgesetzt. Mit atemberaubender Geschwindigkeit und Selbstverständlichkeit und fast beängstigender Produktivität reiht sie Erfolg an Erfolg. Ihre 1. Sinfonie Chimera schreibt sie 2006 für die Düsseldorfer Symphoniker, Nr. 2 Requiem für einen Dichter 2007 als Auftragswerk der Philharmonie und des Chors des NDR usw. usf. Lera Auerbach gehört ganz sicher zu den meistgespielten Komponistinnen der jüngeren Generation.
Die 3. Violinsonate, 2006 geschrieben, etwa 18 Minuten lang, erinnert in Aufbau und Satzgestaltung ein wenig an Schnittkes 1. Sonate aus dem Jahr 1963: vier relativ knappe Sätze, langsam (Adagio tragico) – schnell (Allegro marcato) – langsam (Adagio pesante) – schnell (Allegro assai), motivisch verknüpft, am Schluss des Finales zum Ostinato des Adagio
pesante zurückkehrend.
Auerbach ist sich und ihrem Personalstil auch hier treu geblieben. Mit größter, gelegentlich geradezu entwaffnender Selbstverständlichkeit sind tonale Elemente in Anwendung. Berührungsängste scheinen der Komponistin fremd, immer wieder meint man Referenzen an Vorbilder, an Meister der klassischen Moderne, ja der Spätromantik zu vernehmen. Der Satz beginnt dunkel verhangen mit sechs Takten Violine allein, ausschließlich zwei Noten – g und as – deklamierend, steigert sich über Oktavbässen des Klaviers zu einem monumentalen Höhepunkt, mündet subito in eine spieldosenhaft-gläsern anmutende Pianissimo-Episode in E-Dur und endet irgendwo im Nichts. Schostakowitsch und Prokofjew scheinen im motorischen Allegro assai von Ferne zu grüßen. Klagend und ausdrucksstark die Chromatik der unendlichen, sich zuletzt im Diskant verlierenden Melodielinie der Geige über ostinatem, im Verlauf des Satzes langsam chromatisch ansteigendem Klavierbass. Noch verblüffter ist man, wenn sich im dramatischen Final-Allegro Reminiszenzen an Catoire, ja Rachmaninow einstellen, verfremdet, versteht sich. Eine derartige Mischung divergierender, teils mit dem Stigma des „Verbrauchten“ belegter Elemente ist an sich nicht ungefährlich, sie fordert die Frage nach der Originalität geradezu heraus.
Auerbach gelingt es in dieser Sonate einmal mehr, Strukturen und Klänge zu einer klar identifizierbaren persönlichen Sprache von großer Ausdruckskraft und zu einem authentischen Ganzen zu bündeln. Sicher, es fehlt das verstörende, provozierende Moment, Auerbachs Ansatz ist weit entfernt etwa vom großartigen bohrenden Eigensinn einer Sofia Gubaidulina. Das mag ein wenig glatt erscheinen. Wie „modern“ ist diese Musik eigentlich? Das dürfte letztlich unbeantwortbar und daher auch irrelevant sein, beliebig ist sie jedenfalls nicht. Wer eine schwung- und wirkungsvolle, durchaus in Teilen virtuose, im Ganzen gut spielbare „postmoderne“ Sonate sucht, dürfte mit Auerbachs dritter gut beraten sein.
Herwig Zack

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