Saint-Saëns, Camille

Sonate Nr. 2 F-Dur op. 123

für Violoncello und Klavier, hg. von Peter Jost, mit zusätzlich bezeichneter Cellostimme von David Geringas

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2016
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 69

Noch sind nicht alle Schätze gehoben! Und bevor wir Cellisten es uns gemütlich machen mit der Feststellung, nur über ein begrenztes Repertoire zu verfügen, sollten wir dieses Repertoire bis in alle Winkel ausleuchten. Vermutlich stellen wir fest, dass unserem vorurteilsgeprägten Blick eine Reihe herrlicher Preziosen entgangen sind. Und hierzu müssen wir gar nicht allzu weit zurückgehen in der Musikhistorie: Der „Schatz“, von dem hier berichtet werden soll, entstand vor kaum mehr als hundert Jahren. Gemeint ist Camille Saint-Saëns’ 2. Cellosonate aus dem Jahr 1905, ein ambitioniertes, umfangreiches Werk, dem eine nachhaltige Erweckung aus seinem gegenwärtigen Dornröschenschlaf zu wünschen ist. Vielleicht trägt die hier vorgelegte Publikation des Urtextes dazu bei, dass Cellisten und Pianisten einmal beherzt zugreifen und dafür die vertrauten Standardwerke (sie laufen ja nicht weg!) für kurze Zeit im Notenregal stehen lassen.
Zur Entstehungszeit der Sonate war der 70-jährige Saint-Saëns eine europäische Berühmtheit. So verwundert nicht, dass Cellisten aus seinem Umfeld um die Gunst von Dedikationen und Erstaufführungen eiferten: Joseph Hollmann, mit dem Saint-Saëns das Werk in einem Privatkonzert vortrug, Jules Griset – der eigentliche Widmungsträger – und Auguste Tolbecque, dem der Komponist Jahrzehnte zuvor sein berühmtes 1. Cellokonzert gewidmet hatte. Doch ungeachtet allen Wetteiferns und der Begeisterung eines Pariser Kritikers – „Die Themen sind von einer seltenen Frische und Originalität und die Durchführungen glänzend“ – konnte die Sonate die Erfolge ihres Vorgängerwerks, der 1872 entstandenen 1. Cel­losonate, oder des a-Moll-Cellokonzerts nicht wiederholen.
In der Tat: Wer den zündenden Einfall sucht, wird ihn schwerlich finden. Stattdessen wartet die Sonate mit einer Fülle harmonischer und formaler Finessen auf. Sie beginnt largamente im Stil einer barocken Toccata. Dem improvisatorisch anmutenden Kopfsatz liegt eine klar erkennbare Sonatenhauptsatzform zugrunde. Hieran schließt sich ein Scherzo con Variazioni an. Saint-Saëns’ klassizistischer Ansatz, Variationen zu schreiben, die das Thema erkennbar machen, kommt in seinem sarkastischen Ausspruch zur Geltung, er sei „nicht der Mode gefolgt, nach der die Variationen dem Thema wie der Mond einem sauren Hering gleichen“. Einer subtilen Romance folgt ein virtuoses Finale, von dem der Komponist annahm, es werde „die Leute wachrütteln, die sich von den anderen Sätzen einschläfern ließen“.
In puncto Virtuosität wird beiden Spielern allerhand abverlangt. Einige, mit „Facilité“ gekennzeichnete, spieltechnische Erleichterungsvorschläge im Cellopart sind hier in der separaten Cellostimme wiedergegeben, nicht aber in der Partitur. Henle’schem Standard entsprechend enthält die Edition zwei Cellostimmen: eine im „Naturzustand“ belassene sowie eine weitere mit Fingersatz- und Strichbezeichnungen von David Geringas. Diese sind (wie immer!) untadelig und sehr gut spielbar.
Gerhard Anders

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