Ravel, Maurice

Sonate G-Dur

für Violine und Klavier, Partitur und Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2016
erschienen in: das Orchester 03/2017 , Seite 66

Maurice Ravels in den Jahren 1923 bis 1927 entstandene Violinsonate gehört – neben dem Klaviertrio und dem Duo für Violine und Violoncello – zu den Höhepunkten aus dem Kammermusikschaffen des französischen Komponisten. Bislang war für das Studium des Werks immer noch die bei Durand publizierte Neuauflage des Erstdrucks, bereits vier Monate nach der im August 1927 erschienenen Erstausgabe mit zahlreichen Korrekturen und Revisionen nachgereicht, maßgeblich.
Die von Ulrich Krämer betreute und mit kurzem, aber informationsreichem Vorwort versehene Urtext-Edition nutzt folglich Klavierpartitur und Violinstimme dieser historischen Ausgabe als Hauptquellen, zieht aber in Zweifelsfällen auch das autografe Stimmenmaterial zu Rate. Der abgedruckte Revisionsbericht gibt darüber Auskunft, dass es vor allem kleine Details wie fehlende oder falsch gesetzte Artikulationsangaben und dynamische Auszeichnungen, aber auch Elemente wie fragwürdig einsetzende Oktavierungszeichen sind, die auf diese Weise korrigiert werden und – wie im Fall des bislang eher rätselhaften Tenuto-Zeichens auf der ersten No­te des Melodieeinsatzes der Violine im Mittelsatz – zu einer logischeren Lesart des Notentexts führen.
Für die Auszeichnung der Klavierstimme mit Fingersätzen sowie mit Anweisungen zur Aufteilung der Hände zeichnet der Pianist Pascal Rogé verantwortlich, der bestens im französischen Repertoire des späten 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Hause ist. Das Druckbild der Klavierpartitur wahrt die Großzügigkeit, die man von der Durand-Ausgabe gewohnt ist, gibt dem Satz aber an einigen Stellen noch mehr Raum.
Auch in der Violinstimme folgt der Henle-Verlag den Lösungen der Erstausgabe, ist das Geschehen der Klavierstimme zur Orientierung für den Geiger doch häufig innerhalb eines zweiten, kleiner gesetzten Systems unterhalb des Violinparts angegeben. Dankenswerterweise liegen der Ausgabe zwei unterschiedliche Violinstimmen bei. Deren erste enthält Streichbezeichnungen und in kursivem Schrifttyp eingefügte Fingersätze aus den Quellen (wohl von der Widmungsträgerin Hélène Jourdan-Morhange stammend).
Demgegenüber verzeichnet die zweite Violinstimme neben diesen Angaben eine weitere Schicht aus Strich- und Fingersatzangaben des Geigers Christian Tetzlaff in Normalschrift. Tetzlaffs Hinzufügungen überzeugen als eine dem Geist der Quellen entspringende Ergänzung, die ganz auf die Entfaltung der melodischen Linien gerichtet ist und dem Interpreten gerade im kniffligen letzten Satz auch gute Hilfestellungen beim Einstudieren zu geben vermag. Zwar sind die Angaben aus den Quellen und die Hinzufügungen trotz unterschiedlicher Typografie auf den ersten Blick nicht leicht voneinander zu unterscheiden – was zusätzlich dadurch erschwert wird, dass der Geiger an einigen Stellen noch eingeklammerte Alternativen zu seinen Lösungen anführt –, doch fällt dieses Problem nach einem genauen Studium der Stimme kaum noch ins Gewicht.
Stefan Drees