Schubert, Franz

Sonate für Arpeggione und Pianoforte

nach dem Urtext des Autographs (1824), Ausgabe für Viola/Violoncello, hg. von Lucy van Dael und Joachim Schiefer

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Offenburg, Offenburg 2011
erschienen in: das Orchester 06/2012 , Seite 66

Der sechssaitige Arpeggione – erfunden 1823 als kurioser Hybrid von Gitarre und Violoncello – könnte längst wieder vom gnädigen Schleier der westeuropäischen Musikgeschichtsschreibung bedeckt sein. Wäre da nicht eine anmutige, von Franz Schubert 1824 komponierte Sonate. Wer heute „Arpeggione“ sagt, meint denn auch dies klingende Werk und nicht das längst verstummte Instrument. Längst haben es Cellisten und Bratschisten für sich entdeckt; aus dem Musikhochschul-Curriculum ist es nicht wegzudenken, und auch im Konzert wird die eingängige Sonate oft gespielt.
Grund genug für die japanische Barockgeigerin und Verlegerin Mihoko Kimura und ihre Edition Offenburg, die Sonate nun in einer Zwitterausgabe erneut zu drucken. Ein Heft (Edition Offenburg SB 2111) ist für Cellisten, ein weiteres (SB 2112) für Bratschisten gedacht. Schon ein bisschen amüsant dabei, wie diametral unterschiedlich sich der Wuppertaler Cellist und Cellolehrer Joachim Schiefer und die niederländische Barockgeigerin und Dozentin Lucy van Dael als Herausgeber genähert haben.
„Der heutige Musiker sollte bestrebt sein, Kenntnisse über Zeitgeist, Aufführungspraxis und die daraus resultierenden Klangideale der aufzuführenden Stücke zu haben,“ schreibt van Dael in ihren Anmerkungen zur Viola-Ausgabe des Werks, und fährt fort: „Seine Arbeit sollte damit beginnen, dass er Manuskripte oder Erstdrucke studiert.“ Folglich belässt die Geigerin auch sämtliche Dynamik, Bindebögen und Phrasierungen „gänzlich originalgetreu“. Ihr einziger Beitrag als Herausgeberin ist, Vorschläge für Transpositionen der Melodiestimme zu machen – die Komposition war ja ursprünglich für ein sechssaitiges Instrument in der Gitarrenstimmung E-A-d-g-h-e’ vorgesehen gewesen.
Joachim Schiefer bietet dagegen die volle Palette eines engagierten Herausgebers: Das Solostimmheft der Ausgabe für Cello enthält sowohl eine originale Fassung nach dem Urtext des im November 1824 offenbar in großer Eile niedergeschriebenen Autografs als auch eine zweite, komplett für Violoncello eingerichtete Fassung, bei der sogar Interpretationsvorschläge nicht fehlen („Ich schlage vor, die Reprise sehr verhalten, quasi verträumt zu spielen. Wenn man das Thema an der oberen Hälfte des Bogens mit sehr wenig Gewicht spielt, kann man eine sehr innige Klangfarbe erreichen.“)
Schiefers mannigfaltige Bemerkungen zu Strichen, Betonungen und Artikulation sind für Interpreten, die sich das Werk zum ersten Mal erschließen, eine verlässliche Hilfe. Kleinere Unklarheiten (etwa, was den
im Vorwort genannten Zeitpunkt der Uraufführung betrifft, oder dass von Schiefer hinzugefügte Noten dann doch ihren Weg in die „originale“ Urtext-Stimme gefunden zu haben scheinen) fallen mitnichten ins Gewicht. Finanzschwache Studenten werden dagegen nach wie vor auf die ältere Breitkopf-&-Härtel-Ausgabe zurückgreifen, die inzwischen legal – und kostenlos – im Internet verfügbar ist.
Martin Morgenstern

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