Joseph Ryelandt
Sonate d-Moll op. 73
für Viola und Klavier, hg. von Marion Leleu, Spielpartituren
Beim Einstudieren von Sonaten für ein Melodieinstrument und Klavier fühlen sich Geiger, Flötisten, Cellisten usw. immer etwas benachteiligt, da der Pianist auch ihren Part sieht, sie aber nicht den des Klaviers. Gewiss, bei den berühmten Sonaten, etwa bei Beethovens Frühlingssonate, kennt der Geiger auch die Klavierstimme. Aber wenn ein unbekanntes Werk neu einstudiert oder gar vom Blatt gespielt wird, dann kann es eine sehr große Hilfe sein, wenn auch der Spieler des Melodieinstruments den Klavierpart sieht. Die Verlegerin Stefanie Gurtner kannte dieses Manko aus eigener Erfahrung: Sie spielte viele Jahre in Orchestern und Kammermusikensembles, bis sie 2007 die Partitura Verlag AG gründete. Seitdem gibt sie Noten heraus, in denen jeder Spieler die Partitur vor Augen hat, ohne dass es unübersichtlich ist: Die Melodiestimme erscheint fetter und größer gedruckt als der darunter liegende Klavierpart.
Als Violaspielerin ist es der Verlegerin auch ein Anliegen, unbekannte Literatur für dieses Instrument zur Verfügung zu stellen, wie die nun erschienene Sonate von Josef Ryelandt (1870–1965). Der belgische Komponist ist ein Zeitgenosse von Richard Strauss und komponiert auch ganz in dessen Geist: mit einer weit gefächerten, farbenreichen Harmonik, großflächigen Spannungsverläufen und mit ausdruckserfüllten spätromantischen Melodien, die vom Instrumentalisten die Nachahmung menschlichen Gesangs erwarten. Die d-Moll-Sonate gibt sich hinsichtlich der musikalischen Formen klassizistisch. Der erste Satz ist ein ausdrucksintensiver Sonatensatz, in dem das Klavier arpeggierend mit zum Teil kühner Harmonik die Melodie der Bratsche begleitet. Das Adagio hat anfangs den Charakter eines Rezitativs, dann übernimmt das Klavier die Führung. Am Schluss entschwebt die Musik in größter Höhe. Dagegen ist der Schlusssatz, ein Allegro giocoso, ein heiterer, tänzerischer Ausklang.
Dem Viola-Repertoire fehlt vor allem in der Romantik Musik, die genuin für dieses Instrument komponiert wurde. Mit der Sonate von Ryelandt können Bratschist:innen diese Lücke bestens füllen. Der belgische Komponist schrieb sein Stück einfühlsam und wirkungsvoll auf den Klangleib der Bratsche. Dabei beließ er es nicht bei den gängigen Klischees: Die Viola spielt hier keineswegs nur elegische oder melancholische Melodien. Sie kann hier sowohl expressiv dramatisch klagend, als auch im Schlusssatz heiter und graziös wirken. Die bruchlose Verbindung von Tönen von den tiefen Saiten bis hinauf in die Höhe ist eine Kunst, die auf diesem Instrument eine besondere Herausforderung ist. Zudem muss in diesem Stück der Violaklang mit dem des Klaviers zu einer großen Einheit verschmelzen. Dass dieses bruchlose Zusammenspiel gelingt, dafür bietet die Ausgabe des Partitura-Verlags beste Voraussetzungen.
Franzpeter Messmer