Franck, César

Sonate/Andantino quietoso op. 6/Mélancolie / Sonate, Version pour piano et violoncelle/Mélancolie

pour violon et piano, hg. von Douglas Woodfull-Harris, Urtext, Partitur und Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2015
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 63

Tatsächlich noch eine Neuausgabe der Violinsonate von César Franck? So fragt man sich unwillkürlich bei dieser Neuerscheinung. Schließlich handelt es sich hier – ne­ben derjenigen von Brahms – um die populärste und meistgespielte romantische Sonate für Violine und Klavier überhaupt. Entsprechend herrscht an Notenausgaben wahrlich kein Mangel. Erwähnt seien hier stellvertretend der „Klassiker“ von Henle sowie die Wiener Urtext Edition. Was gibt es da noch Neues zu entdecken und zu verlegen? Anscheinend doch einiges.
Nicht, dass sich bahnbrechend neue Quellen aufgetan hätten, die eine völlig neue Sicht auf das Werk eröffneten. Eher geht es um die Beigaben, die diese Neuausgabe so besonders und wertvoll machen. Da wären natürlich die beiden zusätzlich zur Sonate im Band enthaltenen kurzen und weitgehend unbekannten Stücke Francks für die gleiche Besetzung, Andante quietoso op. 6 und Mélancolie op. post. Und: Noch nie las ich die Entstehungsgeschichte der Sonate so detailliert, kompetent und schlüssig dargestellt wie von Gudula Schütz in ihrer Einführung. Der von Douglas Woodfull-Harris erstellte Notentext unterscheidet sich in einer Reihe von Details von denjenigen der oben erwähnten Ausgaben, die sich sehr stark an Francks 1886 dem Widmungsträger Eugène Ysaÿe als Geschenk präsentierten Autograf orientieren: „Die kritisch-praktische Neuausgabe basiert […] im Wesentlichen auf der Erstausgabe der separaten Violinstimme sowie der Klavierstimme der noch zu Francks Lebzeiten erschienenen Erstausgabe der Fassung für Violoncello und Klavier: In dieser wurden zahlreiche, in der ersten Auflage der Violinfassung noch vorhandene Stichfehler korrigiert. Zusätzlich zu den genannten Quellen wurden die beiden autographen Handschriften der Vio­linsonate dann herangezogen, wenn einzelne Lesarten abzuklären waren.“
Herausgekommen ist eine in sich stimmige Version, die mich voll­ends überzeugt, da ihr ein sorgfältig die Unterschiede der Quellen auflistender Kritischer Kommentar angefügt ist. Hier kommt nicht die Frage auf, was noch Text des Komponisten ist und wo die „Systematisierung“ desselben durch den Herausgeber beginnt, hier kann ich mich in Zweifelsfällen selbst entscheiden, ob ich dem Herausgeber folge oder eine andere Lesart bevorzuge. Gut so! Die Violinstimme enthält keine geigerische Einrichtung mit Strichen und Fingersätzen, auf die hier auch gut verzichtet werden kann.
1887 erstellte Franck auf Drängen und unter maßgeblicher Beteiligung des französischen Cellisten Jules Delsart eine Bearbeitung der Sonate für Violoncello, bei der der Klavierpart unangetastet, also völlig identisch blieb. Auch diese Fassung liegt als Neuausgabe vor. Zusätzlich im Band enthalten ist die Celloversion der postumen Mélancolie. Anders als die blanke Geigenstimme gibt der Cellopart hier die penible Strich- und Fingersatzbezeichnung Delsarts wieder. Beide Fassungen sind ein Muss für jede Geiger- und Cellistenbibliothek!
Herwig Zack