Ravel, Maurice

Sonate

en quatre parties pour violon et violoncelle

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2013 , Seite 72

„Mode“, „Snobismus“, „absichtlich falsche Töne“ – hart gingen die Kritiker ins Gericht mit Maurice Ravels Duosonate anlässlich ihrer Uraufführung am 6. April 1922. Das war nicht mehr der Komponist weicher, fließender Farben, mit denen er noch ein Jahrzehnt zuvor – in Werken wie Shéhérazade und Daphnis et Chloé – sein Publikum berauscht hatte. Stattdessen: pure Struktur, mit scharfem Stift gezeichnete Linien, eine „Maschine für zwei Instrumente“, wie Ravel selbst sein Werk titulierte. Und überdies: höchste spieltechnische Anforderungen, auf die Spitze getrieben von einem Komponisten, der aus jedem Instrument mit einem gewissen Grad an Sadismus das Maximum herauszuholen versuchte.
Letztere Einschätzung verdanken wir einer Person, die es wissen musste: Hélène Jourdan-Morhange, Uraufführungsgeigerin der Duosonate und Autorin mehrerer Bücher, die uns den Künstler und Menschen Ravel näher bringen. Über das Anekdotische hinaus vermittelt ihr Buch Ravel et nous aufschlussreiche Details aus der intensiven Probenphase, die der Uraufführung des Duos vorausging. Jourdan-Morhanges Spielanweisungen, die auf Anmerkungen des Komponisten zurückgehen, nehmen einen wichtigen Teil im Vorwort der vorliegenden, von Douglas Woodfull-Harris edierten Urtextausgabe ein. Außerdem erfahren wir Wesentliches zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte und befinden uns vor dem Aufschlagen der Noten bereits tief in der Ästhetik des Werks. Genau so sollte es sein! Auf ein terminologisches Kuriosum sei gleichwohl hingewiesen: Der Begriff „Großtakt“ steht hier für Partiturziffer.
Neben einer dergestalt informationsgesättigten Einführung wird der Kritische Bericht der Edition ein wenig an den Rand gedrängt – leider! Im Gegensatz zum dreisprachigen Vorwort ist er lediglich in einer englischen Version zu lesen, und hier finden wir im Kleingedruckten die wesentlichen Informationen über die Gewichtung der Quellen – den Erstdruck des ursprünglich separat veröffentlichten 1. Satzes, die verschiedenen Autograf-Stadien, schließlich die Erstausgabe des vollständigen Werks – und damit über die Kriterien der Edition. Sie stützt sich im Wesentlichen auf die frühen Drucke und die Stichvorlage des Verlags Durand, bezieht aber zur Klärung artikulatorischer Fragen mehrere handschriftliche Quellen ein.
In diesen spiegelt sich nicht zuletzt Ravels Probenarbeit mit Hélène Jourdan-Morhange und dem Cellisten Maurice Maréchal wider. Immerhin wird der „peripherisierte“ Kritische Bericht eindrucksvoll illustriert durch drei Faksimileseiten, die verschiedene Arbeitsstadien des Scherzos zeigen.
Ungeachtet dieses kleinen Einwands sollte selbstverständlich jeder, der sich detailliert mit Ravels Duosonate beschäftigen möchte, fortan zu dieser Ausgabe greifen. Für Cellisten bietet sie einen Extra-Service: eine gesonderte Stimme des 1. Satzes in etwas verkleinertem Notenstich, zur Lösung des „Blätter“-Problems.
Gerhard Anders

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