Johann Sebastian Bach

Sonata & Partitas/ Sei Solo á Violino

BWV 1004-1006, Sebastian Bohren (Violine)/ senza Basso accompagnato BWM 1001-1006, Christoph Schickedanz (Violine)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: RCA Red Seal/Sony Music 19075 83695 2/ Audite 23.434
erschienen in: das Orchester 02/2019 , Seite 70

Neueinspielungen der Bach’-schen Werke für Violine solo treffen auf die harte Konkurrenz der bedeutendsten Geiger eines halben Jahrhunderts, deren Kunst auf Schallplatte oder CD festgehalten wurde. Hier ein eigenes künstlerisches Profil zu entwickeln, ist schwierig. Die technische Meisterschaft, welche die beiden neuen Einspielungen von Sebastian Bohren und Christoph Schickedanz auszeichnet, ist zwar schwer genug zu erarbeiten, reicht aber nicht aus.
Unterschiede zwischen den beiden Einspielungen zeigen sich bereits bei den Tempi: Bohren scheint schneller zu spielen, wählt aber in Wirklichkeit etwas langsamere Tempi. Bei ihm hat der einzelne Ton keine so große Bedeutung. Dadurch wirkt sein Spiel großflächiger, aber gerade dadurch auch nach einigem Hören langweiliger.
Schickedanz dagegen beachtet trotz zumeist etwas schnellerer Tempi viel mehr die Details. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf Harmoniewechsel, chromatische Eintrübungen, neue melodische Abschnitte. Ihm gelingt eine sprechende Artikulation. Dabei ist er sich bewusst, wo er die Betonungen setzen muss. Dadurch trifft er bei den Tanzsätzen etwa den Charakter der Sarabande oder der Corrente einprägsamer als Bohren, in dessen Spiel Schwerpunkte, Auftakte und Einschnitte nicht genügend reflektiert erscheinen.
Eine große Herausforderung an Interpreten der Bach’schen Solowerke für Violine ist die „virtuelle“ Mehrstimmigkeit, die den Eindruck von Polyfonie entstehen lässt, obwohl die Violine primär ein Melodieinstrument ist. Hervorragende Interpretationen lassen eine solche Mehrstimmigkeit im Kopf des Hörers entstehen. Dies gelingt beiden Einspielungen, allerdings tritt diese Mehrstimmigkeit bei Schickedanz viel plastischer hervor.
In Bohrens Interpretation der Ciaccona der 2. Partita, des längsten Einzelsatzes, zeigen sich die Grenzen seines Spiels. Er „bewältigt“ zwar diesen Gipfel geigerischer Kunst, aber eine überlegene Gestaltung hört sich anders an. Schickedanz arbeitet die einzelnen Abschnitte plastisch heraus und fügt sie so zusammen, dass für den Hörer eine „Geschichte“ entsteht, die ihn bis zum Schluss fesselt.
Die Einspielung des erst 31-jährigen Bohren scheint der Versuch zu sein, sich eine „Eintrittskarte“ in den Club der Meistergeiger zu verschaffen. Dies ist hinsichtlich von spieltechnischer Meisterschaft gelungen. Der 18 Jahre ältere Schickedanz bringt persönliche Reife und eine viele längere Erfahrung ein. Seine Interpretation hat einen eigenen Charakter: Er spielt ausdrucksvoll, verbindet das „sprechende“ Barockspiel im Sinn Harnoncourts mit dem Ausdrucksmusizieren der Romantik. In seiner Interpretation werden Bachs Solowerke für Violine zu einem fesselnden Hörerlebnis.
Franzpeter Messmer