Naoumoff, Emile

Sonata

für Viola und Klavier (2001/2009)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 03/2012 , Seite 73

Keine Klangexperimente, keine neuen Spieltechniken, keine neuen Notationsformen. Stattdessen: freie Tonalität und Klänge, die ganz der Tradition des 20. Jahrhunderts verhaftet sind. Naoumoff setzt in seiner
Sonata für Viola und Klavier auf die Klangsprache der Moderne und zeigt, wie wirkungsvoll diese auch heute noch ist.
Die musikalischen Wurzeln des 1962 in Bulgarien geborenen Komponisten liegen in Frankreich: Im Alter von acht Jahren wurde Emile Naoumoff Schüler Nadia Boulangers, die ihn bis zu ihrem Tod 1979 unterrichtete und ihn in seinem Schaffen maßgeblich prägte. Mit zehn Jahren komponierte Emile bereits sein erstes Klavierkonzert und spielte dieses als Solist unter Yehudi Menuhin. Die Sonata für Viola und Klavier schrieb
er in den Jahren 2001 und 2009. Er selbst führte das Stück erstmals am 24. Januar 2010 an der Indiana University in Bloomington auf, wo er heute als Associate Professor lehrt. Den Violapart übernahm Nokuthula Ngwen­yama.
Im wahrsten Sinne des lateinischen Wortes sonare, gleich: klingen gliedern Klänge und Farben die einsätzige Sonata; stets sind den Abschnitten bestimmte Gefühle bzw. Themen zugeordnet. Der sequenzierte Nonenabfall als Anfangsmotiv in der Bratsche, gepaart mit extremen Lagen des Klaviers, spiegeln die Höhen und Tiefen des Lebens. Im Vorwort schreibt Naoumoff: „Da die Bratsche dem menschlichen Stimmumfang entspricht, ist es insbesondere ihr möglich, umrahmt von den Extremen des Klaviers, die unterschiedlichen Seelenzustände wie Klage, Revolte, Angst, Wohlbefinden oder Melancholie zum Ausdruck zu bringen.“ Diese Stimmungen sind collageartig zusammengefügt und stets motivisch miteinander verwoben. Zentrales Motiv ist das „Leitmotiv des Lebens“, das zunächst nur in der Bratsche in zahlreichen Variationen mehrfach auftaucht, um schließlich auch vom Klavier übernommen zu werden. Es besteht aus gebrochenen Akkorden, deren Ambitus abermals charakteristisch groß ist; die absteigenden Zieltöne lassen Tragik vermuten. So schreibt Naoumoff, das Leitmotiv erklänge „auf eine Art und Weise, welche das Werk als tragischer und naiver Tagtraum erscheinen lassen“. Deutliche Motivik, Programma­tik und Klangfarbenspiel machen Naoumoffs Sonata zu einer Bildersammlung, die schnörkellos berührt.
Virtuosität der Spieler ist besonders in dem Abschnitt „Rolling“ gefragt: Bei einem Tempo von q = 104 stehen Zweiunddreißigsteln und Sechzehnteln im Klavier Sechzehntelsextolen in der Bratsche gegenüber. Hier ist nicht nur rhythmische Sicherheit, sondern vor allem Fingergeläufigkeit gefordert. Darüber hinaus verlangt die Sonata keine spieltechnischen Höchstleistungen. Abgesehen von sul ponticello und Linke-Hand-Pizzicati in der Bratsche kommen keine „modernen“ Spieltechniken vor.
Katharina Bradler