Sonata

Rubrik: Noten
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Eigentlich muss man ihn nicht extra vorstellen, denn seit einem guten Jahrzehnt gehört Olli Mustonen als Weltklassepianist zu den Superstars des Klassik-Jetsets. 1967 in Helsinki geboren, erhielt der Finne von früh an eine ungewöhnlich breit angelegte Ausbildung als Pianist, Komponist und Dirigent. Spektakuläre Erfolge ließen – kaum verwunderlich bei derartig herausragendem Talent – nicht lange auf sich warten. Heute ist er als Pianist rund um den Globus in allen großen Konzertsälen als Solist mit den bedeutendsten Orchestern und Dirigenten, aber auch als Kammermusiker zu erleben, ähnlich intensiv betreibt er seine Karriere als Dirigent, ist Gründer und Leiter verschiedener äußerst renommierter finnischer Festivals und Künstlerischer Leiter des Kammerorchesters Tapiola Sinfonietta…
Umso erstaunlicher, dass es ihm gelingt, sich daneben einen Freiraum zu tonschöpferischer Tätigkeit zu erhalten. Vor einigen Monaten hatte ich mich an gleicher Stelle bereits mit Mustonens Klavierquartett befasst. Seine Violinsonate entstand 2012 als Auftragswerk und erlebte ihre Premiere im April dieses Jahres in der Londoner Wigmore Hall durch den Komponisten selbst und den finnischen Geiger Pekka Kuusisto. Das 21 Minuten lange, dreisätzige Werk offenbart eine Reihe typischer Charakteristika, die wir aus anderen Werken Mustonens bereits kennen: eine Vorliebe für expressiv-sangliche Streicherkantabilität, polytonale – neben rein tonalen – Akkordpassagen des Klaviers, Klaviercluster in extremer Lage, häufige Wechsel von Takt und Metrik, folkloristische Anklänge.
Ganz allein beginnt die Violine das Grave mit beschwörend-ausdrucksvollen Sechzehntelmotiven, das Tritonusinterval ins Zentrum rückend und meist nach drei oder fünf Noten unterbrochen durch eine Sechzehntelpause, das Klavier setzt choralartige Glockenklänge dagegen. Diese Motivik durchzieht den ganzen Satz und kehrt im Übrigen im ebenfalls getragenen 3. Satz – mit der merkwürdigen Bezeichnung „Colossale“ – wieder, um die Sonate still und „Misterioso“ ausklingen zu lassen. Das dem Grave folgende virtuose Allegretto erscheint ganz inspiriert vom Geiste traditioneller skandinavisch-baltischer Volks- und Tanzmusik, im Mittelteil verströmt die Geige Sanglichkeit, begleitet durch Achtelpassagen des Klaviers, in denen Mustonen Dreiklänge in unorthodoxer, etwas an Prokofjew erinnernder Manier aneinanderreiht (z.B. cis-Moll, Gis-Dur, Es-Dur, d-Moll, f-Moll usw.). Wie überhaupt das ein oder andere an Prokofjew gemahnt, so etwa die schnellen Tonleiterfolgen der Violine über Glockenakkorden des Klaviers in Vierteln (1. Satz der Sonate in f-Moll op. 80).
Alles in allem ist diese Sonate ein farbiges, ausdrucksstarkes, wirkungsvolles Stück Musik, dabei spontan ansprechend und eher unschwer und unproblematisch anzuhören. Leicht zu spielen ist sie allerdings nicht. Man sollte schon über erhebliche virtuose und professionelle Fertigkeiten verfügen, will man sich an das Werk heranwagen.
Herwig Zack