Markus Lehmann-Horn

Solo works

NDR Radiophilharmonie, Ltg. Eivind Gullberg Jensen/Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Christian von Gehren

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 01/2019 , Seite 72

Rot nennt der 1977 in München geborene Gitarrist Markus Lehmann-Horn, dem Heinz Winbeck in Würz­burg den akademischen Schliff zum Komponisten vermittelte, sein Konzert für Solo-Percussion und großes Orchester (2009/13). Die energetische Unruhe, die das Kopfstück „Ei­ne Erregung“ durchpulst, während sich der Rumpfteil „Déjà-vu“ zwischenzeitlich zur Besonnenheit mäßigt, scheint der erhitzten Suada abgelauscht, die der österreichische Prosaist und Stückeschreiber Thomas Bernhard in seinem autobiografischen Roman Holzfällen. Eine Erregung auf 300 Seiten abspult.
Einem Hinweis im Beiheft ist zu entnehmen, dass Bernhards Hass-Monolog wider die verlogene Wiener Möchtegern-Gesellschaft den Komponisten dazu anstiftete, musikalisch „rot“ zu sehen. Sogar die finale Selbstanklage, der vergebliche Versuch des Schriftstellers, sich selbst davonzulaufen und dem Teufelskreis von Liebe und Hass zu entkommen, ist der Dramaturgie des Konzerts anzumerken. Doch auch ohne Kenntnis des Romans vergeht einem beim Hören das Stillsitzen – so verteufelt legt sich der Berliner Schlagzeuger Alexej Gerassimez, Preisträger u.a. des ARD-Musikwettbewerbs 2014, als Solist der NDR Radiophilharmonie Hannover unter Eivind Gullberg Jensen ins Zeug. Möge der eine oder andere Konzertveranstalter, statt wieder und wieder das Kernholz des klassischen Repertoires auszuschälen, wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass sich gelegentlich Glücksfälle zeitgenössischen Komponierens ereignen, die Musiker und Zuhörer sowohl intellektuell ansprechen als auch vegetativ stimulieren.
Selten gelangt ein so buntscheckiges Komponistenporträt auf den CD-Markt. Von Haruka Tsuyama bei den Kasseler Musiktagen 2008 uraufgeführt, ist die Toccata für Klavier solo eine dem Schlagzeugkonzert artverwandte Studie des Schlagens und Berührens: Monolog okkulter Morsezeichen, Ball paradox zarter Elfen und grimmer Kobolde. Trollwesen verkörpert auch und vor allem das Solo für Kontrabassklarinette (2009): groteskes Capriccio eines verwunschenen Prinzen, dem der beglückte Orchester-Hinterbänkler Stefan Schneider zugleich Züge des Riesen Fafner, des Ungeheuers von Loch Ness, nordischen Trollwesens und eines grunzenden Schweinekobens anhext.
Die Sterne des Himmels fielen auf die Erde… heißt ein apokalyptisches Orgelstück von 2012. Der Titel spielt an auf Kapitel VI, Vers 9 und 12 der Johannes-Offenbarung: die Öffnung des fünften und sechsten Siegels. Die wuchtige Aufnahme mit Angela Metzger an der „Weiße Rose Orgel“ fand nächtens im Licht­hof der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität statt, in den die Geschwister Scholl im Februar 1943 ihre Flugblätter gleiten ließen. Wie mit Samtpfötchen zupft Stefan Barcsay anschließend das Gitarrestück Abtauchen.
Gut gemeint, doch ein wenig dürftig ist das nachgeschobene Orchesterlied Ich liebe dich aus den Liedern für Sopran und Orchester nach Texten von Else Lasker-Schüler. Leider trifft die vokale Ausdruckskunst des Porträtierten hier auf eines ihrer schwächsten Gedichte.
Lutz Lesle