Gustave Vogt

Solo de Concert pour le Cor anglais avec accompagnement à Grand Orchestre

(Konzert für Englischhorn und ­großes Orchester), hg. von Michel Rosset, Klavierauszug, Erstausgabe

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Walhall
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 62

Konzerte für Englischhorn sind rar, wie überhaupt Konzerte für Holzblasinstrumente und Orchester seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach der hohen Zeit im Barock eher selten sind. Aber auch hinter diesem Konzert steckt ein Fragezeichen. Der Herausgeber ­Michel Rosset, selbst lange Zeit aktiver Solo-Oboist und Englischhornist beim Sinfonieorchester St. Gallen, entdeckte zunächst die Notiz eines 1830 entstandenen Konzerts für Englischhorn und Orchester aus der Feder des damaligen Professors für Oboe am Pariser Conservatoire, Gustave Vogt (1781-1870), und zwar in der berühmten Biographie universelle des musiciens des französischen Musikhistorikers François-Joseph Fétis aus dem Jahre 1866. Davon soll sich jedoch lediglich das Adagio erhalten haben, welches auch die Pariser Bibliothèque National aufbewahrt. Dieser langsame Satz sei aber identisch mit Vogts später entstandenem und auch öffentlich aufgeführtem 2. Oboenkonzert.
Michel Rosset fand es daher durchaus plausibel, dass Vogt nun nicht nur das Adagio, sondern das gesamte Englischhorn-Konzert für Oboe übertragen hat, was ja durchaus denkbar wäre. Und so fand er es legitim, „eine vollständige Englischhorn-Version zu rekonstruieren, ­indem er lediglich den ersten und letzten Satz des 2. Oboenkonzerts für die in der Tenorlage spielende Oboe zurücktransponieren musste“. Die verschiedenen Manuskripte, die ebenfalls in der Nationalbibliothek liegen, so Michel Rosset in dem dreisprachigen Vorwort, dienten somit zur Rekonstruktion. Das Stück hatte Vogt einst sicherlich auch für sich selbst geschrieben und spiegelt gleichzeitig dessen Leistungsstand wider.
Die Originaltonart F-Dur ist bewusst gewählt, sodass das Englischhorn als transponierendes Instrument in F keine Vorzeichen in diesem nicht gerade leicht zu spielenden Konzert hat. Denn es hat seine technischen Tücken und rhythmischen Raffinessen: Während der Kopfsatz des dreisätzigen, jedoch mit „attacca“-Hinweisen durchgehend zu spielenden Werks sich für den Solisten geschmeidig anfühlt und mit seinen geläufigen Sechzehnteln für frische Momente sorgt, ist der in fließendem Achtelmetrum bewegte Adagio-cantabile-Satz mit seinen teils verschränkten Zweiunddreißigstel- und Vierundsechzigstel-Noten mit integrierten Doppelschlagfiguren etwas für virtuose Feinschmecker. Sie sind teils wie ein Rezitativ oder kleinere Kadenz „ad libitum“ über Liegetönen gehalten, teils aber auch in den Rhythmus des Klaviers eingebunden.
Das Finale ist ein für jene Zeit beliebter Satz im spanischen Bolero-Rhythmus mit seinen typischen Triolierungen. Die Tonart wechselt hier nach D-Dur bzw. A-Dur, mit einem ruhigen und schön kantablen Mittelteil in der Mollparallele mit anschließender Rückkehr zum marschmäßigen Bolero. Das als Erstausgabe veröffentlichte Konzert wäre für den Konzertsaal eine Bereicherung und ist als Leihmaterial beim Verlag zu bestellen.
Werner Bodendorff