Werke von Jommelli, Mozart, Traetta udn anderen
Sol nascente. Italienische Koloratur-Arien
Charlotte Schäfer (Sopran), Neue Düsseldorfer Hofmusik, Ltg. Michael Preiser
Nicht selten suche ich vergeblich nach einer plausiblen Erklärung dafür, warum bislang unveröffentliche Stücke aus Barock oder Frühklassik unbedingt aus der Versenkung geholt werden müssen. Doch die auf dieser CD zu Gehör gebrachten Werke überraschen positiv. Sie zeigen nicht nur die Liebe zum bislang Unentdeckten, die Leidenschaft für das musikalische Ausgraben, die Sorgfalt bei der Recherche und der anschließenden Gestaltung, sondern auch die Stücke an sich verdienen es, dass sie aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt worden sind. Sie glitzern wie polierte Diamanten und sprühen vor Lebensfreude, wenngleich dennoch die drei Titel des jungen Mozart meine persönlichen Favoriten bleiben. Ein Grund hierfür mag sein, dass es Mozart war, der die Sopranistin Charlotte Schäfer schon seit ihrer Kindheit inspirierte, Sängerin zu werden, und hier noch mehr Hingabe spürbar wird.
Neben Mozart interpretiert die junge Sopranistin, die ihre Gesangsausbildung 2011 an der Folkwang Universität der Künste beendete und sich anschließend entscheidende Impulse beim Countertenor Martin Wölfel holte, auf dieser Ersteinspielung italienische Koloraturarien von Niccolò Jommelli, Tommaso Traetta, Giuseppe Sarti und Niccolò Piccinni. Die meisten Kompositionen stammen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und stehen somit musikalisch an der Schwelle zu einem Zeitalter, das sich zugunsten größerer Natürlichkeit von teilweise überbordenden barocken Affekten verabschiedet. Im Zentrum steht nun der vernünftige Sänger, der sich bewusst einer ausgeklügelten Technik und eines wohlkalkulierten Ausdrucks bedient, um die technischen Anforderungen der virtuosen Arien meisten zu können.
Sensibel bis temperamentvoll begleitet von der Neuen Düsseldorfer Hofmusik unter Michael Preiser scheint Charlotte Schäfers glockenreiner, manchmal angenehm schlichter, knabenhafter Sopran wie geschaffen für diese Art der Gesangskunst: leichtfüßig und vollkommen unmanieriert gleitet sie mitunter fast schwebend über die halsberecherischen Koloraturkaskaden, in denen einzelne Perlen feingeschliffen funkeln. Gezielt weiß sie ihr Vibrato je nach Gefühlslage zu portionieren, und nur die allerhöchsten Spitzentöne fallen manchmal als etwas schrill und eng aus dem Rahmen. Die Reihenfolge der Arien steigert sich binnen 60 Minuten dramaturgisch von eher verhalten bis zu einem Feuerwerk an Wildheit und Glamour.
Auch das Booklet zeigt, wie sehr dem kleinen Team um Schäfer das gemeinsame Projekt am Herzen lag: Es informiert über den allgemeinen musikgeschichtlichen Hintergrund und über jede einzelne Arie, deren Texte mit Übersetzung abgedruckt sind, illustriert mit Fotos der Sängerin. Die Musikwissenschaftlerin und Dramaturgin Christine Lauter hatte im Vorfeld Handschriften von rund 300 in Vergessenheit geratenen Arien von frühen Mozart-Zeitgenossen zusammengestellt und aus diesen anschließend ausgewählt. Aufnahmeleiter wurde Robert Keilbar, den die Sopranistin zu Studienzeiten kennenlernte, und Michael Preiser, der mehrere auf der CD eingespielte Arien neu editierte, ließ schlussendlich in Musik fließen, was zuvor monatelang minutiös erarbeitet worden war.
Kathrin Feldmann