Peter Schleuning
So könnte es gewesen sein — Musikergeschichten
Beim Donnerblitzbub bzw. Amadeus wird vielleicht mancher das Buch zuerst aufschlagen, sofern er sich nicht entschließt, diese ebenso hochwertige wie gut verständliche Musikerübersicht chronologisch zu lesen, deren Vorteil es ist, dass man die Lektüre beginnen kann, wo man mag. Das Wolferl gibt natürlich viel her, primär für den, der gerade von Salzburg zurückgekehrt ist, wo er, da in der Getreidegasse wohnend, sowohl dem Geburts- als auch dem Sterbehaus des Genies ganz nahe war. Mozart bewegt erstaunlicherweise nach wie vor die Massen, ein Phänomen, das nicht bei allzu vielen Komponisten zu beobachten ist und das möglicherweise mit Milo Formans Film von 1984 begann. Amadeus war ein sensationeller Erfolg, weil er Abschied nahm von der ehrfurchtsvollen Annäherung an ein Genie, sondern es so zu zeigen versuchte, wie es sich seinerzeit den Zeitgenossen präsentiert haben soll. Dokumente dazu gibt es reichlich (Bäslebriefe).In der gut lesbaren Neuerscheinung widmet sich Peter Schleuning aber nicht nur dem Wunderkind, das er mit einem fiktiven Dialog aus dem Jahr 1788 und zahlreichen Zitaten (die authentischen sind kursiv gedruckt) würdigt, sondern beginnt seine Auswahl von fünf Komponisten, die alle Innovativ-Außergewöhnliches leisteten, bei Johann
Sebastian Bach, der bei einem eventuellen Ranking zweifellos den ersten Platz verdient. Bei Bach beschränkt sich der Autor auf dessen Zeit in Köthen und greift dabei zum Mittel eines (fiktiven) Dialogs, während er das Kapitel über dessen Sohn Carl Philipp Emanuel Bach
als Freye Fantasie definiert und damit dem Leser viel gedanklichen Spielraum zugesteht.Der Autor gibt seiner lesenswerten, ebenso informativen wie anregend geschriebenen Publikation den absichernden Titel So könnte es gewesen sein. Das ist ein geschickter Schachzug, den jeder akzeptiert, denn wer ist schon dabei gewesen, als Mozart starb und Todesangst ihn schreckte, Bach sich mit seinen Partituren die Augen blindschrieb oder Beethoven seine von ihm dirigierten Werke nicht mehr hören konnte?
Peter Schleuning, der schon vor drei Jahren mit seiner Publikation Vom Kaffeehaus zum Fürstenhof Johann Sebastian Bachs Weltliche Kantaten hervortrat, kurbelt auch jetzt wieder die Vorstellungskraft der Musikfreunde an und entführt sie in vertraut klingende Musikwelten, die zeitlich fern und dabei nah zugleich sind aufgrund der Unsterblichkeit ihrer Kompositionen.Dies trifft nicht nur auf das Salzburger Wunderkind zu, sondern auch auf die vier weiteren von ihm ausgewählten Tonsetzer, auf Johann Sebastian Bach, seinen Verwandten Carl Philipp Emanuel Bach, auf Ludwig van Beethoven und Fanny Hensel. Schleuning versucht dabei nicht, die Biografien nachzuzeichnen, sondern widmet sich bestimmten Einzelaspekten, die für die jeweilige Persönlichkeit prägend waren. Das ist ein trefflicher Schachzug, der nichts verspricht, was nicht eingehalten werden kann. Von Fanny Hensel wurden zum Beispiel ihre zehn postumen Briefe an Bruder Felix aufgenommen.
Heide Seele