Dreyer, Johann Melchior
Six Sonatas Concertants pour le Clavecin ou le Forte Piano et Violoncelle
I-II / III-IV / V-VI, Erstausgabe, hg. von Günter und Leonore von Zadow, jeweils Partitur und Stimme
Der Einführungstext Günther Grünsteudels informiert einerseits detailliert über den heute gänzlich unbekannten Komponisten Johann Melchior Dreyer sowie diese Sonaten, erweckt andererseits zugleich unterschwellig das Vorurteil, es hier mit einem Kleinmeister zu tun zu haben. Denn Dreyer (1747-1824) kam nicht aus seiner württembergischen Heimat hinaus, wirkte jahrzehntelang als Kantor in Ellwangen, verfasste als solcher eine große Zahl von Stücken für den kirchenmusikalischen Bedarf, zudem auch Instrumentalmusik. Die hier in drei Heften vorliegenden sechs Sonaten für Klavier mit begleitender Cellostimme setzen den Primat auf das Tasteninstrument, analog der Gattung Violinsonate in ihrer frühen Phase.
Die Ausgabe basiert auf zeitgenössischen Abschriften, ergänzt um einige vortragspraktische Bezeichnungen, die Schlüssel in der Cellostimme sind der heute üblichen Praxis angepasst. Zusätzliche Artikulationbezeichnungen sind selten vermerkt, für Ausführende gilt, Gepflogenheiten der Stilistik zu kennen.
Die Datierung dieser Sammlung wird auf spätestens 1786 festgelegt. Auch unter der Berücksichtigung, dass ein Musiker in der Provinz eingeschränkt war, die aktuelle Musikentwicklung zu verfolgen (ein Jahr später schrieb Mozart Don Giovanni), muss konstatiert werden, dass Dreyer ein frühklassisches Konzept verfolgt, das zu seiner Zeit bereits mehr als eine Generation zurückliegt. Außer in der 6. Sonate in B-Dur gibt es keine Sonatenhauptsatzform in den Kopfsätzen, vielmehr Reihungen von Gestalten mit obligatem Wechsel zur Dominanttonart (alle Sonaten stehen in Dur), die zum Teil nicht über eine Modulation erreicht, sondern nur über einen Halbschluss angesteuert wird. Auch fehlen zuweilen Reprisen.
Dreyer zeigt eine große Askese in der tonalen Anlage, selten werden entferntere Tonarten angeschlagen, ein Rondothema in der 2. Sonate begnügt sich mit den Hauptstufen, einzig in der 3. Sonate taucht der übermäßige Sextakkord auf. Auch melodisch enthalten die Stücke wenig Ori-
ginalität, sie sind oft formelhaft, viele der melodischen Teile wirken austauschbar, es finden kaum Entwicklungen oder Verarbeitungen statt. Wenn einmal ein wenig Kontrapunkt bemüht wird, verebbt dieser schnell. Auffällig sind Unsicherheiten und Mängel im Tonsatz (zuweilen Parallelen, fehlende Chromatik bei Nebennoten, falsche Basstöne etc.). Am ehesten gelingen Dreyer Variationen, die 6. Sonate ist eine dienliche Gebrauchsmusik.
Die Cellostimme hat verschiedene Funktionen: Stabilisierung des Basses, Auffüllung durch Akkordtöne, Melodieträger. Bedingt durch das Konzept einer Cellobegleitung treten dialogische Passagen zwischen den beiden Instrumenten selten auf.
Der Schwierigkeitsgrad ist leicht bis mittelschwer. Die Stücke könnten Unterrichtsgegenstände für Musikschüler sein, doch dürften sie auf die Schwierigkeit stoßen, dass heutzutage weder der vorklassische Stil attraktiv ist noch diese Kompositionen aufgrund genannter Schwächen Interesse zu wecken imstande sind.
Christian Kuntze-Krakau


