Hasse, Johann Adolf
Siroe, Re di Persia
Max Emanuel Cencic, Julia Lezhneva, Franco Fagioli, Mary-Ellen Nesi, Lauren Snouffer, Juan Sancho, Armonia Atenea, Ltg. George Petrou
Nur wenige Künstler hatten mehr Erfolg oder erlangten größeres Ansehen als Hasse. Nur wenige sind heute so vergessen. François-Joseph Fétis, der belgische Musikschriftsteller und Komponist, schrieb diese Zeilen bereits im 19. Jahrhundert. Ein wenig hat sich mittlerweile die Situation für den seinerzeit europaweit bekannten und geschätzten Johann Adolf Hasse (1699-1783) schon gebessert. Hie und da werden heute seine Opern aufgeführt und eingespielt wie jetzt etwa die Opera seria Siroe, Re di Persia.
Woran liegt es, dass ein Komponistenstar vom Musikfirmament nahezu verschwindet? Man kann dies recht einleuchtend an Hasses König von Persien erklären. Der Stoff ist es nicht. Das auch von anderen Komponisten, z.B. von Händel, vertonte Libretto von Pietro Metastasio erzählt eine Art König- Lear-Geschichte, mit den für die Opera seria typischen Ingredienzien: Politik, Liebe, Eifersucht, Verrat, Loyalitätskonflikt. Der alte König Cosroe will die Macht nicht an seinen erstgeborenen Sohn Siroe abgeben, sondern an den jüngeren Medarse. Siroe wird von zwei Frauen geliebt. Die erste, Laodice, ist auch noch die Mätresse des alten Königs. Die zweite, Emira, tritt als Mann verkleidet auf und will ihren einst von Cosroe getöteten Vater rächen. Nur Siroe kennt Emiras wahre Identität; er liebt sie heimlich, warnt aber den Vater vor ihren Mordplänen und wird zum Tod verurteilt. Natürlich kommt die Wahrheit ans Licht, alle verzeihen
einander am Ende.
Was Sänger sich damals von Komponisten wünschten, das wusste Hasse genau. Für jede Rolle hat er zum Teil halsbrecherische Koloraturen parat, effektvolles Passagen-Laufwerk, lang gespannte Melodiebögen, die den Sängern in den introvertierten Arien einiges an Gestaltungsvermögen abverlangen. Die Opernstars des 18. Jahrhunderts bekamen viel, um ihr Können zur Schau zu stellen. Bei Hasse jagt gewissermaßen ein Koloraturen-Feuerwerk das nächste. Man fühlt sich ein wenig wie im Schlaraffenland: überfordert, alles zu verdauen. Ratlos, denn die Anhäufungen von technischen Schwierigkeiten stehen in keiner guten Balance. Effekte nutzen sich ab, die Musik wird durchschaubar, und sie hat Längen.
Dennoch gibt es wirkliche Perlen unter den Arien. Auch manches (Accompagnato-)Rezitativ lässt aufhorchen. Eine unerwartete harmonische Eintrübung erzählt vom Schrecken der Person, oder ein sperriger, synkopischer Rhythmus verrät, dass Intrige im Spiel ist.
George Petrou leitet sein Barockensemble Armonia Atenea eher sportiv, manches wirkt leider gehetzt, und nicht immer agiert das Orchester genau. Tenor Juan Sancho (Cosroe) neigt dazu, eine (unpassende) romantische Note in Hasses spätbarock-frühklassische Tonsprache zu bringen. Dagegen überzeugen die beiden Countertenöre Max Emanuel Cencic (Siroe) und Franco Fagioli (Medarse) mit stilistischer Sicherheit, technischem Können und Sensibilität. Eine wahre Ohrenfreude ist die junge russische Sopranistin Julia Lezhneva (Laodice) mit ihrer wunderbar abgerundeten Stimme, einer fantastischen Technik und einer authentischen Musikalität.
Elisabeth Richter