Krzysztof Penderecki

Sinfonietta(s)

Daniel Ottensamer (Klarinette), Sinfonietta Cracovia, Ltg. Jurek Dybał

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 06/2021 , Seite 77

Als eine Art Hausorchester von Krzysztof Penderecki hat sich die Sinfonietta Cracovia seit ihrer Gründung für dessen Werk eingesetzt. Die enge Zusammenarbeit mit Penderecki war dabei immer ein Garant für authentische Interpretationen seiner Musik, wobei die in der Geschichte des Ensembles begründete kammermusikalische Haltung gerade den kleinerformatigen Werken sehr zugutekommt. Das gilt auch für die vorliegende Aufnahme, die noch kurz vor Pendereckis Tod im Dorf Lusławice entstand, dem Wohnort des Komponisten, wo sich auch das von Penderecki gegründete Europäische Musikzentrum befindet.
Die drei Sinfoniettas, die die Sinfonietta Cracovia unter ihrem Chefdirigenten Jurek Dybał eingespielt hat, beruhen alle auf Kammermusikwerken, die von Penderecki für größeres Streicherensemble bearbeitet wurden. So liegt der Sinfonietta per archi ein neoklassisch anmutendes und zuweilen an Bartók erinnerndes zweisätziges Werk, das 1991 entstandene Streichtrio zugrunde. Im Gegensatz zu dessen kantiger Gestik und robuster Motorik ist die Sinfonietta Nr. 2, deren Grundlage das Klarinettenquartett von 1993 ist, in einer romantisch gefärbten Atmosphäre beheimatet. Die attacca verbundenen vier Sätze führen vom Zwiegesang eines träumerischen Notturno über ein groteskes Scherzo und einen Schönberg’schen Walzer zum ausgedehnten und zeitenthobenen Schlusssatz, der nicht allein durch die Überschrift „Abschied“ an Gustav Mahler gemahnt. Wenn auch in der großen Fassung aus dem Quartett ein regelrechtes Klarinettenkonzert wird, in dem der Solist Daniel Ottensamer vor allem in den ruhigen Passagen mit samtiger Tongebung und feiner Nuancierung besticht, so treten in der durchsichtigen Faktur der Musik auch die solistischen Qualitäten der Orchestermitglieder immer wieder hervor.
Während diese beiden Werke bereits in früheren Aufnahmen vorliegen, handelt es sich bei der Sinfonietta Nr. 3, auf der Basis des 3. Streichquartetts von 2008, um eine Ersteinspielung. Der Untertitel „Blätter eines ungeschriebenen Tagebuchs“ verweist auf die retrospektive Haltung des Werks, in dem „Erinnerungen“ an frühere Musik Pendereckis, zum Teil fast zitathaft, aufscheinen. Ein unerbittliches Ostinato eröffnet immer wieder intimere Ausblicke auf Vergangenes, bis gegen Schluss wie von ferne folkloristische Elemente als Reminiszenzen erklingen. Es ist das vielleicht eindrücklichste und persönlichste Werk dieser CD, bei dem Penderecki offenbar noch während der Aufnahme kleine Retuschen anbrachte, die von der gedruckten Partitur abweichen, wie die Verlängerung des Cellopizzicatos über das Ende der Musik hinaus, das wie ein Herzschlag in die Stille klingt.
Quasi als Intermezzi zwischen den Hauptwerken fungieren zum einen die Drei Stücke im alten Stil, die 1963 als Filmmusik zur Verfilmung der Handschrift von Saragossa entstanden und eine recht ironiefreie Stilkopie barocker Muster sind, zum anderen das stimmungsvolle Lamento der von Boris Pergamenschikow angefertigten Streicherbearbeitung des Agnus Dei aus dem Polnischen Requiem.
Klaus Angermann