Werke von Henri Dutilleux, Olivier Messiaen und Maurice Ravel

Sinfonieorchester Wuppertal Live, Vol. 3

Sinfonieorchester Wuppertal, Ltg. Julia Jones

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: hd-klassik
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 71

Die technische Innovation eines „speziell für Kopfhörer entwickelten Verstärkers, durch den Fertigungstoleranzen und Nicht-Linearitäten von Kopfhörern ausgeglichen werden“, scheint den Editoren eine Sensation. Vor den ersten Musiktakten wird sogar in einem Ansagetext auf den akustischen Mehrwert hingewiesen. Dieser war allerdings weitaus weniger auffallend als erwartet. Mit einem guten Kopfhörer unterschied sich das Hörerlebnis nicht wesentlich von anderen Aufnahmen. Der Klang von einer Stereoanlage mit zwei optimal positionierten Boxen erwies sich sogar als weitaus besser.
Auch hier sind demzufolge ein erfahrenes Aufnahmeteam, eine sensible musikalische Leitung und ein klangfarbenreiches Ensemble wichtiger als feintechnologische Mikrofortschritte. Mit den nun auf CD erschienenen Konzertaufzeichnungen vom Februar 2018 und Januar 2019 verabschiedet sich Generalmusikdirektorin Julia Jones vom Sinfonieorchester Wuppertal. Mit ihrer Bereitschaft zu aktualitätsbezogenen Schreibweisen des Musiktheaters hatte sie intensiv daran mitgewirkt, dass die Wuppertaler Bühnen als innovatives Mehrspartentheater mit dem Theaterpreis des Bundes 2021 ausgezeichnet wurden.
Wo ihre künstlerischen Vorlieben sind, macht Julia Jones hier mit drei komplexen französischen Orchesterwerken des 20. Jahrhunderts deutlich. Ravels rauschhafte Ballett-Beschwörung einer altgriechischen Pastorale mit mehr oder weniger unschuldigen Liebesspielereien – seine 2. Suite zu Daphnis et Chloé – erwies sich in dieser Kombination fast als zu plakativ, wirkungssüchtig und extrovertiert. Die für das Cleve- land Orchestra komponierten und bei der Uraufführung von George Szell dirigierten Métaboles von Henri Dutilleux sind tatsächlich das weitaus spannungsreichere, detailsüchtigere und Gehörnerven raffinierter umwerbende Stück. Hier werden die Raumeffekte der Instrumentalsoli, die Streicherspielarten und die trotz gegenteiliger Bekundungen des Komponisten letztlich doch Claude Debussy weiterdenkenden Partikel zum erstklassigen Hörerlebnis.
Jones geleitet das Orchester mit einer bemerkenswerten Kombination aus Analyse und einer in lichtvoll warme Dimensionen aufbrechenden Klangmacht durch die Partituren. Bei Dutilleux’ getragenen Tönen ist erstaunlich, wie diese in der Dauer ihre Substanz ändern. Auch Messiaens Les Offrandes Oubliées und Un sourire sind verspielte und dabei geistig wie geistlich fordernde Erkundungen. Das Sinfonieorchester Wuppertal klingt weniger trocken als Kent Naganos kühle Brillanz in seiner Messiaen-Hommage mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Bei Jones wird Messiaen auch in säkularen Kontexten ein musikalischer Magier, den die Leidensgeschichte Christi seit früher Jugend begleitete.
Dieses Album ist ein weiterer Baustein der beeindruckenden Tonträgerreihe des Sinfonieorchesters Wuppertal mit Entdeckungen von Felix Draeseke, Anton Rubinstein, Norbert Burgmüller und Lutz-Werner Hesse.
Roland Dippel