Joseph Lauber

Sinfonien Nr. 3 und 6/Die Alpen

Sinfonie Orchester Biel Solothurn, Ltg. Kaspar Zehnder

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schweizer Fonogramm
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 71

Der Schweizer Komponist Joseph Lauber (1864-1952) war Schüler u.a. von Friedrich Hegar, Joseph Rheinberger und Jules Massenet. Als Organist und Theaterkapellmeister tätig, profilierte er sich vor allem als Dozent an den Konservatorien in Zürich und Genf (zu seinen Schülern zählte u. a. Frank Martin). Von seinen mehr als 200 Kompositionen sind bislang nur sehr wenige auf Tonträger veröffentlicht worden; die im Sommer 2020 begonnene Gesamteinspielung seiner sechs Sinfonien ist nun bei der zweiten Folge angelangt.
Die dritte Sinfonie in h-Moll (mit dem ursprünglichen Titel „Dramatique“) entstand im Sommer 1896 und ist ganz typisch für nicht nur die Schweizer Sinfonik dieser Zeit (Hans Huber, Volkmar Andreae, Fritz Brun), mit einer hörbaren Portion Dvořák im Kopfsatz. Der Schlusssatz öffnet mit einem bedeutungsschwangeren Andante maestoso, das Mahlers Trauermärschen vergleichbar, aber doch ganz anders geartet ist; das konventionellere Aufbegehren im folgenden Allegro moderato endet nicht in strahlender Gloriole.
Im selben Sommer entstand auch die Symphonische Suite F-Dur Die Alpen, ein dreisätziges Werk von teilweise eher idyllischem Charakter. Die Musik ist stark illustrativ, in vielen Momenten auch stärker noch dem 19. Jahrhundert verhaftet als die Sinfonie. Der „Älplerreigen (Tempo di Valse)“ überschriebene Mittelsatz lässt auch die Schülerschaft Massenets anklingen.
Im Schluss ertönt die alte frühere Schweizer Landeshymne „Rufst du, mein Vaterland“, die (nur rhythmisch geringfügig abgewandelt) auf dieselbe Melodie gesungen wurde wie die sächsische und bayerische Königshymne, die österreichische Kaiserhymne und die britische Nationalhymne – eine in Europa damals also eher landesübergreifende denn individualitätsstiftende Melodie.
Die sechste Sinfonie in D-Dur ist nicht datiert und wurde 1949 der SUISA (Schweizer Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik) gemeldet. Lauber, der Meister der nachromantischen Orchestrierungskunst mit durchaus eigenem Kopf in vielerlei Hinsicht, bleibt in Sachen Harmonik und formaler Faktur der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg weitgehend treu. Gelegentlich treten einige Stilelemente der 1920er und 1930er Jahre in den Vordergrund. Ob die Musik als
„Neo-Neoklassizismus“ bezeichnet werden kann, wäre zu diskutieren – klar ist, dass das Werk harmonisch und auch in vielen instrumentatorischen Details wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Die lange und intensive Zusammenarbeit des Sinfonie Orchesters Biel Solothurn mit seinem Chefdirigenten Kaspar Zehnder, der besondere Verdienste um die Wiederentdeckung von Laubers Orchesterschaffen erworben hat, spiegelt sich auf das Beste in der vorzüglichen Erarbeitung der Werke, auch in ihren spieltechnisch heiklen und instrumentatorisch ungewohnten Aspekten. Das Ergebnis ist eine Produktion, die Appetit macht auf mehr Joseph Lauber, auch auf mehr spannende Projekte des Sinfonie Orchesters Biel Solothurn.
Jürgen Schaarwächter