Joseph Lauber
Sinfonien Nr. 1 und 2
Sinfonie Orchester Biel Solothurn, Ltg. Kaspar Zehnder
Joseph Lauber wurde 1864, im gleichen Jahr wie Richard Strauss, geboren, und überlebte ihn drei Jahre, als er 1952 in Genf starb. Im Schweizer Musikleben war Lauber eine bekannte Größe als Professor für Klavier in Zürich (1899-1901) und später in Genf, wo er Klavier, Orchestration und ab 1927 Komposition unterrichtete. Dort wurde Frank Martin zu seinem berühmtesten Schüler. Für drei Jahre war Lauber auch Chefdirigent des Grand Théatre in Genf, und er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der schweizerischen Musikervereinigung.
Als Komponist hinterließ er ein vielfältiges Œuvre, darunter Lieder, Chöre – oft für Laien gedacht und von solchen aufgeführt –, vier Bühnenwerke, sechs Sinfonien, vier sinfonische Dichtungen und sieben Orchestersuiten sowie etliche Solo-Konzerte u.a. für Klavier, Violine, Flöte, Kontrabass, Fagott, Harfe und Oboe. Dazu kommen einige kammermusikalische Werke. Seine Ausbildung hatte er in Zürich, später bei Joseph Rheinberger in München und auch in Paris u.a. bei Jules Massenet genossen. Das Thema „Schweiz“, so urteilt das Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart, sei in seinen Werken allerorten vorhanden. Lauber, der in seiner Kammermusik auch Anregungen von Debussy aufgegriffen hatte, lehnte ansonsten zeitgenössische Strömungen ab.
Nun kann man mit der Ersteinspielung der Sinfonien 1 (1895) und 2 (1896) Joseph Lauber als Orchesterkomponisten kennen lernen. Die Aufnahmen stammen aus dem Juni 2020 mit dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Leitung von dessen Chefdirigenten Kaspar Zehnder in Bern.
Joseph Lauber schreibt – wie zu hören ist – interessante Werke – flüssig, mit echt schweizerisch-alpenländischen Anklängen (Hörner in der ersten Sinfonie.) Die Musik wirkt strukturell nicht über die Maßen verrätselt, sie hat melodische Anklänge an französische Eleganz, der Orchestersatz wirkt durch eine Fülle von interessanten Nebenstimmen aufgelockert, ohne zu dicht gewebt zu sein. Und dass Lauber auch instrumentieren konnte, hört man an den delikaten (und gut gespielten) Passagen der Holzbläser.
Wenn das Etikett „spätromantisch“ die Werke von Richard Strauss oder Gustav Mahler meint, passt das auf die Musik von Joseph Lauber nicht. Seine Musik klingt eher nach dem traditionellen 19. Jahrhundert. Die Besetzung der Sinfonien gehen über zweifaches Holz, vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen und Pauke nicht hinaus, was man aber nur auf einem Bild von einer Aufnahmesitzung im Booklet findet.
Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Kaspar Zehnder klingt frisch, spielfreudig und klar. Die Aufnahme ist insgesamt etwas bläserlastig geraten, was vielleicht an der relativ kleinen Streicherbesetzung, mit der die Sinfonien aufgenommen wurden, liegen kann. Ein lesenswertes Booklet mit einem Artikel von Manuel Bärtsch, in dem auch Notizen zu der offenbar sehr audiophilen Mikrophonierung nicht zu kurz kommen, rundet die hörenswerte CD-Neuerscheinung ab.
Gernot Wojnarowicz