Sibelius, Jean

Sinfonien Nr. 1-7

Berliner Philharmoniker, Ltg. Simon Rattle

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berliner Philharmoniker Recordings BPHR 150071
erschienen in: das Orchester 01/2016 , Seite 77

Um den 150. Geburtstag von Jean Sibelius gebührend vorzubereiten, führte Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern im Laufe der Saison 2014/15 sämtliche Sinfonien des Komponisten auf. Pünktlich zum Jubiläum liegen diese Aufführungen jetzt in einer luxuriösen Box vor: einerseits auf vier herkömmlichen Audio-CDs, andererseits auf zwei Blu-Ray-Discs, auf der einen im Audio-Format, auf der anderen als Video-Mitschnitt der Konzerte. Zusätzlich gibt es noch ein gefilmtes Interview, in dem sich Rattle über Sibelius äußert. Eine hoher Präsentationsstandard mithin, wie er beim hauseigenes Label des Orchesters die Regel ist.
Die Berliner Philharmoniker können auf eine zwar lange, keineswegs jedoch kontinuierliche Sibelius-Tradition zurückblicken. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen Sibelius’ Werke regelmäßig auf den Programmen des Orchesters – nicht zuletzt auch unter Leitung des Komponisten persönlich. Spätestens nach Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch wurden die Aufführungen seltener, trotz des Einsatzes Herbert von Karajans für Sibelius. Da erscheint es nur logisch, dass Simon Rattle, der bereits in früheren Jahren in Birmingham als Sibelius-Interpret hervorgetreten ist, an diese Tradition wieder anknüpfte.
Dass jedoch Sibelius’ Musik für die Berliner Philharmoniker nicht gerade zum täglichen Brot gehört, lässt die Einspielung verschiedentlich spüren. Die fabelhafte Klangkultur des Orchesters zu rühmen, hieße Eulen nach Athen tragen. Doch gerade diese Klangkultur ist es, die dem Erfolg dieser Interpretationen entgegentritt. Schon in seinem Birminghamer Sibelius-Zyklus bevorzugte Rattle einen eher milden Zugang zur Tonsprache des Finnen, und dies hat sich in Berlin noch verstärkt. Weniger kantige Struktur und transparent gestaltetes motivisches Geflecht spielen hier, wie es sein sollte, die Hauptrolle, sondern ein klanglich weich aufgepolstertes, kulinarisches, auf Spätromantik getrimmtes Musizieren, bei dem die Herausarbeitung von Höhepunkten vor organischer Auffächerung des motivischen Geflechts rangiert. Besonders tritt dies etwa in der fünften Sinfonie zu Tage, in der Rattle oft widersprüchlich und unentschieden agiert – etwa im Finale, wo die allzu breit und beinahe sentimental ausmusizierte Coda so gar nicht als logische Schlussfolgerung der vorangegangenen, eher zügig gestalteten Entwicklung erscheinen mag. Schöner Klang ist es auch, der über weite Strecken in der asketischen Vierten dominiert – wo er für eine Herabmilderung der Spannungen sorgt, von denen dieses Werk dominiert ist. Besser gelingt die zurückhaltende Sechste, und in der einsätzigen Siebten finden Dirigent und Orchester zu einer sehr schlüssigen, Dramatik und Organik vereinigenden Interpretation.
Letztlich jedoch herrscht der Eindruck vor, dass die Berliner Philharmoniker auf höchstem Niveau eine Musik in den Griff zu bekommen versuchen, die ihnen (noch?) nicht wirklich liegt. Wer einen Sibelius im Breitwandformat sucht, wird gleichwohl nicht enttäuscht werden.
Thomas Schulz