Heinz Winbeck

Sinfonien 1 bis 5

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Muhai Tang/ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Ltg. Dennis Russell Davies/Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Ltg. Mathias Husmann und Dennis Russell Davies/Beethoven Orchester Bonn, Ltg. Dennis Russell Davies

Rubrik: CDs
Verlag/Label: TyxArt
erschienen in: das Orchester 01/2020 , Seite 77

„Heinz hat gnadenlos alles von sich gegeben“, schreibt der Dirigent Dennis Russell Davies im Vorwort zum Beiheft dieser Edition mit allen fünf Sinfonien Heinz Winbecks. „Gnadenlos“ – dieses Wort drängt sich beim Hören von Winbecks Musik denn auch mehrmals auf: im brachialen, zehnminütigen Orchestertutti, mit dem die Sinfonie Nr. 1 beginnt ebenso wie im minutenlangen, immer lauter werdenden Schlagzeug-Ostinato am Ende der Zweiten, das erst loslegt, nachdem die eigentliche Musik schon an ihrem Ende angekommen zu sein schien. Gnadenlos ist Winbecks unbedingter Wille zum Ausdruck, zum Herausschreien all dessen, was ihn bewegte – getreu seinem Motto: „Ich bringe buchstäblich nur das zu Papier, das, würde ich es nicht tun, mich zersprengte.“
Dass Winbeck sich traditioneller Formen bediente und auch die musikalische Tradition (Mahler, Schumann, Wagner) in Form von Zitaten in seine Musik einbaute, sollte also nicht zu dem Gedanken verleiten, er mache es dem Hörer einfach – im Gegenteil. Die ersten beiden Sinfonien – vielleicht auch die gelungensten – ziehen ihre Wirkung aus dem Kontrast von extrem lauter und brutaler Musik einerseits sowie leisen, teils beinahe statischen, teils in unablässiger Bewegung befindlichen Entwicklungen andererseits. In den beiden Vokalsinfonien drei und vier bezieht sich Winbeck auf die Lyrik des von ihm sehr verehrten Georg Trakl. In diesen beiden Werken finden sich weniger Kontraste des Ausdrucks; katastrophische Klangballungen bestimmen das Geschehen, und Winbecks tendenziell pessimistische Weltanschauung führt hier zu einer gewissen Monochromie. Auch kann die Vierte, eine Art Requiem auf Winbecks verstorbene Mutter, angereichert mit Chören, Sprecher und Elektronik, mit Fug und Recht ein wenig überambitioniert genannt werden. Zu beeindrucken wissen auch diese beiden Werke nichtsdestoweniger, sie können den Hörer aber auch erschlagen – was vielleicht sogar in Winbecks Sinne wäre: „Man kann heute gar nicht schwarz genug malen, um das drohende Unheil abzuwehren.“
Um so unerwarteter dann die Sinfonie Nr. 5 „Jetzt und in der Stunde des Todes“: Auf Anregung Russell Davies’ wollte Winbeck ursprünglich die Skizzen zum Finalsatz von Bruckners Neunter vollenden. Als er merkte, dass er dies nicht konnte bzw. wollte, entschied er sich, stattdessen eine Sinfonie im Geiste Bruckners zu schreiben – und es sind tatsächlich sowohl Bruckner als auch Winbeck, die in dieser Musik sprechen, auch wenn nur in einigen wenigen Takten Bruckner direkt zitiert wird. Der leise Schluss mit dem fernen Gruß von Strauß’ Schöner blauer Donau ist einfach wunderbar – ein versöhnlicher Abschluss eines unversöhnlichen Werkkorpus.
Mehrere Orchester und Dirigenten haben an dieser Box mitgewirkt; das klangliche Ergebnis überzeugt ebenso wie das umfassend informierende Beiheft. Leider hat Winbeck die Veröffentlichung des Projekts nicht mehr erlebt; er starb im März 2019 mit 73 Jahren.
Thomas Schulz