Klauspeter Bungert

Sinfonie

nach dem Streichquartett D-Dur von César Franck, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Canticus
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 66

Wie würde es klingen, hätte Brahms eine fünfte Sinfonie geschrieben? Oder Beethoven ein sechstes Klavierkonzert?
Diese Frage hat im Fall von Johannes Brahms Arnold Schönberg beantwortet, indem er das Klavierquartett in g-Moll für Orchester gesetzt hat. Dabei war nicht der Mangel an sinfonischen Werken von Brahms entscheidend, sondern vielmehr die orchestralen Qualitäten, die Schönberg aus dem originalen Kammermusikwerk herauszuhören vermochte. Und im Fall von Ludwig van Beethovens Violinkonzert D-Dur, das es eben auch in einer Fassung mit Klavier als Soloinstrument gibt, mag die außergewöhnliche Schönheit der Komposition (und der Neid der Pianisten) den Ausschlag für diese zweite Version gegeben haben.
Etwas anders sieht es mit der „zweiten“ Sinfonie von César Franck aus, die Klauspeter Bungert hier vorlegt. Sie basiert auf Francks einzigem Streichquartett, für das Bungert eine Art Nischendasein als ungeliebtes und unverstandenes Meisterwerk ausmacht, das in seiner kammermusikalischen Urfassung selten adäquat dargestellt werde. Bungert glaubt – und legt das in einem umfangreichen Vorwort auch detailliert dar –, dass dieser Missstand vor allem durch drei Maßnahmen zu beheben sei: eine monumentale Orchesterbesetzung, stark verlangsamte Tempi und eine im Gesamtpegel signifikant angehobene Dynamik. Behält man das Streichquartett von Franck und seinen dichten Klang im Hinterkopf und wirft dann einen ersten Blick in die umfangreiche Partitur, wird klar, dass diese drei Facetten auch irgendwie zusammenhängen. Die spätromantische Orchesterbesetzung inklusive dreier Saxofone, zweier Kornette und Harfe lässt sich sicher nicht so wendig wie vier Streicher durch die vier umfangreichen Sätze steuern, und sie wird sich klanglich natürlich auch nicht auf Kammermusikniveau herunterdimmen lassen.
Klauspeter Bungert allerdings fordert eher extreme Eingriffe und legt eine Spieldauer von 70 Minuten im Vergleich zu unter 50 Minuten für das Streichquartett-Original nahe. Auch daran wird letztlich klar, dass es dem Bearbeiter hier nicht um das Freilegen sinfonischer Aspekte im Kammermusikwerk, sondern um eine fast komplette Neuschöpfung geht. Aus Sicht Bungerts hat César Franck die musikalischen Ideen seines Streichquartetts schlicht nicht auf die richtige Gattung projiziert.
Eine etwas intensivere Beschäftigung mit der Partitur lässt erahnen, dass – so extrem Bungerts Ausgangsthese auch sein mag – hier ein durchaus überzeugendes Stück Sinfonik entstanden ist. Kaum irgendwo wirkt das Notenmaterial künstlich „gestreckt“ oder hätten einzelne Instrumentengruppen über größere Strecken hinweg wenig zu tun. Sehr gerne würde man diese zweite Franck-Sinfonie einmal erstklassig ausgeführt im Konzertsaal oder zumindest auf CD erleben. Platz genug für eine D-Dur-Schwester wäre sicher neben dem vielgespielten d-Moll-Dauerbrenner von César Franck.
Daniel Knödler