Gustav Mahler

Sinfonie Nr. 8

Dortmunder Philharmoniker, Ltg. Gabriel Feltz

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Dreyer Gaido
erschienen in: das Orchester 06/2020 , Seite 70

Als im September 1910 Gustav Mahler die Uraufführung seiner achten Sinfonie in München leitete und vor genau 1008 Ausführenden am Pult stand, war der Beiname „Sinfonie der Tausend“ schnell zur Hand. Die logistischen und organisatorischen Mühen einer Aufführung dieser Sinfonie sind auch in 100 Jahren Aufführungsgeschichte nicht unbedingt weniger geworden, selbst wenn heute nur noch selten so viele Mahlers Achte zu Gehör bringen. Für Gabriel Feltz’ Dortmunder Interpretation der Sinfonie, deren Mitschnitt nun als CD erschienen ist, standen ihm nur ein knappes Drittel der „Tausend“ zur Verfügung. Ein verschlanktes Ensemble für eine schlanke Aufnahme? Nein, nicht unbedingt. Feltz’ Auseinandersetzung mit Mahlers Sinfonik reicht weit zurück. Bereits 2007 begann er „seinen“ Mahler-Zyklus, damals noch als Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker, und schon 2015 führte er in Graz diese Sinfonie auf, allerdings mit doppelt so viel Ausführenden wie in Dortmund. Nun also nur die Hälfte Musiker. Dabei hat Feltz keineswegs aus der  Not eine Tugend gemacht: Wenn er in Mahlers Partitur Züge einer Motette erkennen will, dann sagt das sehr viel über seine Mahler-Sicht aus – und das hört man auch. Höchste Transparenz und ein wohlausbalanciertes Klangbild, nicht zuletzt dank einer hervorragenden Tontechnik, prägen diesen knapp 90-minütigen Hörgenuss. Dabei verzichtet der Dortmunder GMD keineswegs auf die große sinfonische Geste: Gleich zu Beginn stecken Chor und Orchester den Rahmen ab. Präzise und prägnant gelingt der Einstieg in den mittelalterlichen Pfingsthymnus. Mit dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brno hat Feltz bereits zuvor Erfahrungen gesammelt. Jetzt verstärkt durch den Slowakischen Philharmonischen Chor Bratislava und den Knabenchor der Chorakademie Dortmund, stellt Feltz den Dortmunder Philharmonikern einen agil agierenden Chor als Partner an die Seite, der an sauberer Artikulation und Klangschönheit keine Wünsche offen lässt. Nicht zu vergessen die Solisten: Emily Newton und Michaela Kaune, Ashley Thouret (Sopran), Iris Vermillion und Mihoko Fujimura (Alt), Brenden Patrick Gunnell (Tenor), Markus Eiche (Bariton) und Karl-Heinz Lehner (Bass), die allesamt mit einem wachen und zupackenden Ton einsteigen. Eine fast kammermusikalisch anmutende Linie entdeckt Feltz dann beim Einstieg in den Faust-Teil (Poco Adagio). Hier fächert sich die sinfonische Dichte auf, spürt den einzelnen Motivzeilen nach. Mahlers achte Sinfonie ist nicht gerade eine Seltenheit auf dem CDMarkt. Und dennoch verdient diese Aufnahme besondere Beachtung. Schon mit dem ersten Takt fesselt Feltz und führt uns geschickt durch die verschlungenen Pfade der Mahler’schen Sinfonik. Man kann seinem zügigen und analytischen Dirigat folgen, ohne auf die Pracht einer spätromantischen Sinfonik zu verzichten. Und eben diese gelungene Balance zwischen Schwärmerei und Klarheit zeichnet diese Aufnahme aus. Chapeau!
Markus Roschinski