Mahler, Gustav

Sinfonie Nr. 7 e-Moll

Die Taschenphilharmonie, Ltg. Peter Stangel

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Edition Taschenphilharmonie ETP004
erschienen in: das Orchester 10/2016 , Seite 68

Eine groß besetzte spätromantische Sinfonie für ein hundertköpfiges Orchester auf ein Fünftel der Ensemblegröße reduzieren, ohne die musikalische Substanz in Gefahr zu bringen oder gar in Frage zu stellen: Geht das überhaupt? Anhand der vorliegenden Einspielung kann die Frage mit ja beantwortet werden. Dirigent Peter Stangel und seine hier mit 19 Musikern agierende Münchner Taschenphilharmonie erweisen sich auch bei ihrer neuen Aufnahme als würdige Nachfahren von Arnold Schönberg und seinem „Verein für musikalische Privataufführungen“. Schönberg, seine Kollegen und Schüler hatten die Ambition, „Künstlern und Kunstfreunden eine wirkliche und genaue Kenntnis moderner Musik zu verschaffen“. Der Rahmen sollte bewusst privat bleiben, weshalb groß besetzte Werke in Bearbeitungen gespielt wurden. Schönberg selbst hat von Mahler etwa die Lieder eines fahrenden Gesellen oder Teile des Liedes von der Erde für kleinere Besetzung eingerichtet.
Eine pädagogische Absicht verfolgt auch die Taschenphilharmonie. Doch ihr geht es nicht um Konzerte für Insider, sondern darum, ein breites und nicht zuletzt junges Publikum anzusprechen, und darum, das Wissen über große musikalische Kunstwerke zu vertiefen. Die Bearbeitungen für verkleinerte oder (im Fall von Klaviermusik) vergrößerte Besetzung sollen durch die ungewohnte Klanggestalt eine produktive Spannung zum Original erzeugen, die die betreffenden Werke neu hören lässt. Die Aufnahme der Mah­ler’schen Siebten als Teil
einer neuen CD-Edition kommt genau richtig, denn diese von allen Sinfonien Mahlers rätselhafteste und am wenigsten gespielte bedarf am ehesten der Verbreitung und intensiven Beschäftigung. Das produktive Paradoxon dieser Wiedergabe der Taschenphilharmonie ist, dass die reduzierte Besetzung das Stück nicht matter, sondern im Gegenteil eher klarer macht und viele Momente des komplexen, polyfon aufgefächerten Satzes besonders deutlich werden. Auch die klanglichen Besonderheiten bleiben erhalten, obwohl meist nur ein Instrument pro Register vertreten ist. Selbst die Wirkung der Schlagwerkeffekte ist bei nur zwei Spielern fast uneingeschränkt spürbar.
Peter Stangel dirigiert mit Übersicht und klarem Profil, dazu sehr stringent und spannungsgeladen. Er wählt flüssige und deshalb bessere Zeitmaße als viele der namhaften Mahler-Dirigenten, die etwa in der zweiten Nachtmusik gerne zum Verschleppen neigen. Die 19 Musiker spielen famos und werden dem immensen technischen Anspruch der Partitur voll gerecht. Solistisch ist das ja noch schwieriger als im großen Orchester. Die Taschenphilharmonie macht hier Kammermusik auf hohem Niveau – und ist auch damit nahe bei der Sache, schreibt Mahler doch gerade in den Sinfonien 5 bis 7 immer wieder Kammermusik in großem Format.
Die Aufnahme bietet deshalb sowohl eine ideale Gelegenheit, das Werk kennenzulernen als auch die Chance, es neu und anders zu hören. Sie ist eine gute Basis zur intensiven Auseinandersetzung mit einem eigentlich noch immer ungelösten musikalischen Fall.
Karl Georg Berg