Mahler, Gustav

Sinfonie Nr. 6

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Dreyer Gaido 21045, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 71

Gustav Mahlers sechste Sinfonie gehört nicht zu seinen beliebtesten, denn zur bekannten welttheatralischen Opulenz tritt hier eine bis zum Ende unversöhnliche Tragik, welche im Werk Mahlers ihresgleichen sucht: Die berühmtere Fünfte beginnt zwar mit einem Marsch, schließt jedoch zuversichtlich; die Siebente – auch eine Moll-Sinfonie – endet gar im C-Dur-Rausch. Die Sechste hingegen beharrt auf ihrer militanten Klage und schmettert Zuhörer wie Interpreten im letzten Satz mit drei Hammerschlägen symbolisch nieder.
Mysteriöse Inseln der Ruhe, in denen Kuhglocken von Ferne läuten, bieten für die finale Niederlage ebenso nur einen Aufschub wie das traumhafte Andante moderato: Es hebt zwar zart an, erreicht aber in der Mitte einen derart eruptiven Höhepunkt, dass das Gipfelglück der Strauss’schen Alpensinfonie daneben wie ein Sonntagsspaziergang wirkt. Interessant, dass die persönlichen Schicksalsschläge, die sich als Auslöser für so ein Werk (uraufgeführt 1906 in Essen) stets anbieten, in Mahlers Leben erst später folgen sollten.
Dieser Sechsten mit ihrer (selbst für Mahler) gewaltigen Besetzung hat sich Gabriel Feltz mit seinen Stuttgarter Philharmonikern nicht nur in einem Konzert gewidmet – er hat aus dem Live-Mitschnitt sogar eine CD machen lassen. Das Ergebnis gibt ihm zumindest in den ersten drei Sätzen Recht, die verhältnismäßig rasch und nicht zu staatstragend genommen werden.
Besonderen Wert legt Feltz – wie schon in früheren Aufnahmen mit anderen Orchestern zu beobachten – auf eine differenzierte Zeichnung dunkler Klangfarben. Die Geräuschhaftigkeit, die ein frappierend neues Element dieser formal recht strengen Sinfonie darstellt, betont er ebenfalls. Bis dahin ist es eine ordentliche Aufnahme mit einem gut disponierten Orchester.
Leider war der letzte Satz, der Motive brutal auftürmt und schroff in die Tiefe stürzen lässt, bei dem Live-Mitschnitt offenbar eine konditionelle Überforderung für die Stuttgarter Philharmoniker. Unsauberkeiten, vor allem bei den Blechbläsern, nehmen zu; die Trompeten klingen mitunter schrill, die Hörner mulmig und zugleich schroff. Die Zuhörer erlebten Anfang 2008 in der Stuttgarter Liederhalle sicher trotzdem einen großen Abend. Für eine Aufnahme jedoch gelten andere Maßstäbe, zumal wenn man sich einer Konkurrenz von über hundert weiteren Einspielungen gegenübersieht.
Im Booklet findet sich ein kurzer Aufsatz von Gabriel Feltz, in dem er begründet, warum er (anders als Mahler) das Scherzo an die zweite und das Andante moderato erst an die dritte Stelle im Satzverlauf stellt. Das geschieht sehr ausführlich, während man andere grundlegende Informationen über die Sinfonie – und ebenso über die Interpreten – vermisst. Warum der Text des Beihefts neben Englisch auch in Japanisch abgedruckt ist, wäre interessant zu erfahren.
Johannes Killyen