Pärt, Arvo
Sinfonie Nr. 4 “Los Angeles”
für Streichorchester, Harfe und Schlagzeug (2008), Studienpartitur
Die Sinfonie Nr. 4 Los Angeles für Streichorchester, Harfe, Pauken und Schlagzeug (2008) des estnischen Komponisten Arvo Pärt (geb. 1935) entstand als Auftragswerk der Los Angeles Philharmonic Association. Die Vorstellung, eine Aufführung durch eines der weltbesten Orchester, dazu in einem der großartigsten Konzertsäle der Welt, der Walt Disney Concert Hall, gab letztlich den Ausschlag für den sinfonischen Rahmen. Das ist bemerkenswert, denn seit 37 Jahren hatte Pärt kein Werk in sinfonischer Größe mehr geschrieben. Seine 3. Sinfonie datiert aus dem Jahr 1971.
Gewidmet hat er die 4. Sinfonie dem seit 2003 in Russland inhaftierten Unternehmer Michail Chodorkowski. Schon in den Jahren 2006/07 hatte er die Aufführung seiner Werke der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja gewidmet.
Trotz der sinfonischen Strukturen fühlt sich der Komponist in allen drei Sätzen dem “Tintinabuli Stil” verpflichtet, den er Anfang der 1970er Jahre für seine persönliche musikalische Aussage als gültig entwickelt hat, das heißt er beschränkt alle musikalischen Parameter auf das absolut Wesentliche und Notwendige. So verzichtet er in dieser Sinfonie auf das effektvolle Kolorit der Holzbläser und auch auf das Schwergewicht der Blechbläser. Harfe, Marimbafon, Tupfer von Zymbeln, Triangel und Glocken über dumpfen Paukenschlägen und Tamtam entwickeln mit dem Streicherklang ein vielfältiges, sensibles Klangbild.
In der Los Angeles Times hieß es : “Die Sinfonie ist über alle Maßen schön.” Dieses Urteil überrascht bei einem zeitgenössischen Komponisten, trifft aber den Kern dieser Sinfonie, denn Pärt erfreut sich einer ungewöhnlichen Beliebtheit. Übersichtlichkeit, Durchsichtigkeit und musikalische Dichte prägen die drei Sätze, die attaca eine Einheit bilden. Die melodisch thematischen Bausteine in den Sätzen, die eigentliche musikalische Substanz, sind jeweils für den Hörer nachvollziehbar und erfassbar bemessen, emotional erlebbar, genauso wie die Verfremdungen in der Klangsprache, die aufgehellt werden, weil in der Ferne immer wieder wie leuchtende Fixpunkte die Reminiszenzen überlieferter Tonalität durchschimmern.
Abgesehen davon, dass die Aufführung keine außergewöhnliche Besetzung erfordert, erlebt der Konzertbesucher zeitgenössisch klassische Musik, die ihn über seine rationalen Kräfte hinaus auch emotional berührt. Arvo Pärts 4. Sinfonie kann und sollte zu einer wirklichen Bereicherung unserer Konzertprogramme werden.
Winfried Kühne