Bruckner, Anton

Sinfonie Nr. 4 Es-Dur

("Romantische")

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Querstand VKJK 1018
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 71

Herbert Blomstedt und das Gewandhausorchester Leipzig musizieren hier wie aus einem Guss. Altersweisheit und Reife zeichnen diese tiefsinnige Interpretation aus, bei der der Streicherapparat mit ungewöhnlichen Rubato-Passagen hervorsticht – und dies vor allem im Finale. Diese unheimliche Wolfsschlucht-Szene beschwört die Welt eines E.T.A. Hoffmann. Und sie wird der Bezeichnung der Sinfonie als “Romantische” am ehesten gerecht.
Der geheimnisvolle Anfang des ersten Satzes atmet in seinem schattigen Raunen und seinen Echorufen reine Waldstimmung. Wie aus grünem Schweigen taucht das Hornthema mit dem Quint-Intervall empor. Zart lässt es Herbert Blomstedt mit dem sphärenhaft musizierenden Gewandhausorchester in ruhiger Fortspinnung bis zur Umkehrung weiterschweben. Im Bass schwillt das Gewoge zu wilder Urgewalt und majestätischer Kraft an. Es mündet in eine neue Steigerung mit dem Schlussmotiv des ersten Themas – und stimmungsvoll leitet der erste Hornruf in die vielgliedrige Durchführung.
Herbert Blomstedt interpretiert das Werk auch beim Coda-Triumph durchaus mathematisch und strukturell wohldurchdacht. Das Vorbild Schubert schimmert im zweiten Satz hervor. Unter stockender Streicherbegleitung stimmen die Celli den dunklen Trostgesang an, der ergreifend wirkt. Ein Quint-Intervall meldet sich lebensbehauptend. Weihevolle Choralklänge besitzen hier Cantus-firmus-Charakter. Gelegentlich hätte man sich dabei noch eine klarere Struktur gewünscht. Im “bewegten” Scherzo überzeugen die Jagdhörner des dritten Satzes, der dynamisch sich immer mehr steigert. Das Trio wiegt sich in schöner Balance und Harmonierückung. Alles besitzt eine ungewöhnliche klangliche Transparenz. Und dies gilt auch für den liebenswürdig-gefühlvollen Ländler.
Unheimlich und geheimnisvoll beginnt das Finale, dessen ferne Hornrufe drohend in die Nacht hineinragen und Angst und Schrecken verbreiten. Eine räumliche Weite zeichnet diese gut abgemischte Wiedergabe aus. Das wie von Zyklopenhand gemeißelte Hauptthema wird mit der Wucht des ganzen Orchesters herausgeschleudert. Selbst wenn die Spannung zuweilen nachlässt, gelingt es dem stets konzentriert agierenden Herbert Blomstedt, die Musiker immer wieder zu neuen Höchstleistungen anzuspornen. Mit dämonischer Gewalt setzen sich dabei die gespenstischen Kräfte durch, die in gebieterischer Größe den Hornruf beschwören. Ein weit ausholendes Posaunenthema reckt sich gleichsam gewaltsam empor. Das Hauptthema gewinnt hier immer neue Gestalten. Erinnerungen an den ersten und zweiten Satz kommen melancholisch daher. Als gläubige Dank-Hymne wächst die Coda zu leuchtender, unumstößlicher Gewissheit empor.
Von der insgesamt ausgeglichenen Art her ähnelt diese Intepretation am ehesten der von Bernard Haitink und dem Concertgebouw Orkest Amsterdam.
Alexander Walther