Mozart, Wolfgang Amadeus

Sinfonie Nr. 35 “Haffner” / Posthorn-Serenade

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 88883720682
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 75

Salzburg in den 1770er Jahren. Studenten feiern alljährlich im August ihre bestandenen Prüfungen und ziehen musizierend von der fürst-erzbischöflichen Residenz hinein in die Stadt. Stellen Sie sich die engen Gassen im Zentrum vor, rund um die Getreidegasse Nr. 9, wo Mozart geboren wurde. Ein paar Ecken weiter liegt der Universitätsplatz. Dort erklangen die „Finalmusiken“, Musik zum „Abschluss“ des Semesters: Serenaden. Mozart komponierte eine Fülle solcher sechs- bis siebensätzigen Werke, denen noch ein Marsch vorangestellt war. In der Regel gab es zwei Menuette, in den anderen – langsamen und schnellen Sätzen – finden sich die unterschiedlichsten solistisch konzertierenden Instrumente zusammen.
Eine der prächtigsten Serenaden Mozarts ist die Posthorn-Serenade (1779), in deren zweitem Menuett das Horn im Trio sein Signal bläst. Doch mindestens genauso hervortretend, für den festlichen Charakter verantwortlich, ist z.B. die Trompete. Zauberhaft die warmen Holzbläserfarben der beiden Concertante-Sätze, ein Andante grazioso und ein Rondeau. Flöte, Oboe und Violine erhalten anspruchsvolle Soli.
Diese Musik klingt leicht, sie musste leicht klingen, denn es gab einen freudigen Anlass. Doch Mozart wäre nicht Mozart, bliebe er an der heiter-vordergründigen Oberfläche. Da gibt es hier eine unerwartete Harmonie oder einen kapriziösen Rhythmus, dort eine freche Dissonanz oder einen plötzlich aufkommenden Seelenschmerz. Was für Dimensionen zeigt Mozart im fünften Satz der Posthorn-Serenade, dem Andantino in Moll! Große opernhafte Dramatik, ungeheuer tiefe Musik!
Der über 80-jährige Nikolaus Harnoncourt präsentiert sich mit seinem Concentus Musicus Wien bei dieser „Studenten-Musik“ voll überschäumender Musizierlust. Er setzt auf schroffe, durchaus scharfe Kontraste und geht bis an die Grenze des Klangs. Pauke und Trompete markieren mit bissig-donnernden Akzenten. Die Tempi sind forsch, aber dennoch hält Harnoncourt sein Originalklang-Ensemble im Zaum. Die Präzision ist beim Concentus Musicus nie in Gefahr. Die weichen Bläserfarben des Andante grazioso oder des Andantino in der Posthorn-Serenade sind wunderbar balanciert. Die Instrumente mischen sich hervorragend und behalten dennoch ihren Charakter.
Die „Haffner“-Sinfonie entstand aus der „Haffner“-Serenade, die Mozart für Sigmund Haffner, einen Freund der Familie, komponiert hatte, der in den Adelsstand erhoben wurde. Mozart wählte vier Sätze der Serenade für die Sinfonie aus. Auch hier dominiert der festlich-strahlende Charakter der Musik, auch hier werden auf die helle Fassade immer wieder dunkle Schatten geworfen. Mozart stellt mit seiner Musik Fragen. Und Nikolaus Harnoncourt spürt ihnen mit seinem Concentus Musicus Wien auf berührende Weise nach.
Elisabeth Richter