Slonimsky, Sergei
Sinfonie Nr. 32
Partitur, Leihmaterial
In St. Petersburg, der Heimatstadt Sergei Slonimskys (*1932), kann man seinen Sinfonien im Konzertleben durchaus begegnen, während sie hierzulande weitgehend unbekannt sind. Dabei ist die jüngste Sinfonie von 2011 ein Werk, das aufgrund seiner leichten Einstudierbarkeit und Kürze auch auf dem Programmzettel eines Sinfoniekonzerts erscheinen könnte, das den Mut zu Neuem hat, ohne den Hörer zu verschrecken oder intellektuell zu überfordern.
Zu Beginn des ersten Satzes, mit der Bezeichnung Allegro marcato, wird der Hörer zwar mit einer dissonanzgesättigten, rhythmisch vibrierenden Blechbläserattacke konfrontiert, die dann in den Holzbläsern abgemildert aufgegriffen und in rhythmische Einzelimpulse aufgelöst wird. Über einer quasi tremolierenden Streicherklangfläche erscheint als motivisches Element ein viertöniges Hornmotiv, dem ein aufgelockertes rhythmisches Wechselspiel mit Triolen und Sechzehntelgruppen in ständiger Auf-und-ab-Bewegung sowie registerartige Klangwechsel folgen. Nach einem scharfen Flatterzungen-Akkord klingt der Satz nach gut drei Minuten mit der die Harmonik des Satzes konstituierenden großen Septime in den Röhrenglocken aus. Unmittelbar darauf folgt ein Lento, in dem vom Fagott eine folkloristisch anmutende, schlichte Drei-Ton-Melodie intoniert wird. Wirkungsvoll werden jetzt Mikrointervalle eingesetzt, die Slonimsky von seinen Studien russischer Bauernmusik her vertraut sind. In diesem Satz dominieren ausdrucksvolle Kantilenen der Holzbläser und die differenziert kammermusikalisch gestaltenden Streicher, bis in der Mitte des Satzes Hörnerfanfaren zum dynamischen Höhepunkt führen, der aber nach einem Tuba-Solo, das die Fagott-Melodie des Anfangs aufgreift, wieder zurückgeführt wird. Für die Solo-Flöte hält dieser Satz noch eine besondere Herausforderung bereit: An zwei Stellen wird zum instrumentalen Solo gleichzeitiges Singen (im Quintverhältnis) gefordert.
Nach diesem etwa achtminütigen Satz folgt als Schlusssatz ein Presto, das mit seinen fast durchgängigen Sechzehntelläufen auf überwiegend modaler Basis einen hektischen Eindruck macht. In nahtlosem Wechsel durch die verschiedenen Instrumente folgen im 5/4-Takt kurze diatonische Sechzehntelgruppen, gegen die ein triolisches Motiv, das an das Horn-Motiv des ersten Satzes erinnert, gesetzt wird. Eine Klavierkadenz verweist auf die Idee des Improvisatorischen, das im Schlussteil der Sinfonie in den Holzbläsern durch freie rhythmische Strukturen die Oberhand gewinnt. Effektvoll geht der Satz nach einem Streicher-Cluster mit der ins Hymnische gesteigerten triolischen Horn-Fanfare dem Ende entgegen, das schließlich mit einem fulminanten C erreicht ist.
Slonimsky gestaltet seine 32. Sinfonie mit sparsamen und einfachen kompositorischen Mitteln, die aber genügend Potenzial zum großen Orchesterklang in sich tragen. Das Werk kann durchaus auch von einem
ambitionierten Jugendsinfonieorchester bewältigt werden.
Die Partitur ist gut lesbar gedruckt; im Anhang fehlt allerdings die deutsche Übersetzung der russischen Anmerkungen.
Heribert Haase