Bruckner, Anton

Sinfonie Nr. 1 c-Moll/Sinfonie Nr. 3 d-Moll

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Querstand VKJK 1115 und VKJK 1017
erschienen in: das Orchester 12/2012 , Seite 72

Zwei neue CDs gibt es mit dem fulminanten Gewandhausorchester unter der Leitung von Herbert Blomstedt: Bruckners erste und dritte Sinfonie. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Aufnahme der dritten Sinfonie ist aufgrund der schier unglaublichen Streicherpräsenz schlichtweg eine Sensation und mit Sicherheit Blomstedts beste und überzeugendste Bruckner-Aufnahme. Ein Vergleich beider Sinfonien liegt allerdings auf der Hand.
Stileigenheiten Bruckners sind bereits in der ersten Sinfonie in c-Moll zu spüren und werden vom Gewandhausorchester unter Blomstedt auch plastisch herausgearbeitet. Dies betrifft vor allem die “genetische” Themen­aufstellung sowie das allmähliche Entstehen der Motive aus dem “ungeordneten” Nichts. Blomstedt interpretiert die Themen nicht unbedingt weicher und fließender als bei Beethoven, sondern zeichnet gerade in der ersten Sinfonie auch die schroffe Dramatik wuchtig nach. Der prägnante Rhythmus des ersten Satzes könnte sogar noch eine Spur klarer und schärfer sein. Trotzdem wirken die klopfenden Bässe unheimlich genug, um den Hörer sofort in ihren unmittelbaren Bann zu ziehen. Draufgängerischer Trotz behauptet sich bei den erregten Steigerungen des Themas, dessen Intensität nie nachlässt. Und die Geigenmelodie erscheint dabei geradezu idyllisch. Ein großartiger Übergang führt hier zum energischen dritten Thema, dem Trompeten und Posaunen Wucht und Glanz geben.
Und auch die Durchführung gibt den anderen Themengruppen vielfältige wechselnde Reize ab. Schwermütig gedrückt wirkt dann das Adagio des zweiten Satzes, bei dem die Hörner dominieren. Der dreistimmige Flötenchoral und die zarte Klarinettenmelodie wechseln sich facettenreich ab. Urwüchsig erscheint das überaus vitale Scherzo. Energiegeladen in seinem wilden Spiel um den Oktavsprung wirkt das Finale. Die dritte Gruppe mit Lohengrin-Anklängen besitzt ungeahnte Präsenz. Ein mächtiger Bläserchoral mündet in die breite Coda.
Die dritte Sinfonie hat Bruckner “in tiefster Ehrfurcht Richard Wagner” gewidmet. Zwischen tiefer Frömmigkeit und unbeschwerter Naturfreude schwankt dieses Werk, dessen unglaubliche Streicherpräsenz bei dieser Aufnahme vor allem beeindruckt. In wuchtigen Quadern baut sich die vielfältige harmonische Stimmung auf. Als Durchgangsstation von Schubert und Mahler begreift Blomstedt dieses wichtige Werk, dessen Intervallspannungen er minutiös ausreizt. Feierliche Gefühle betont Blomstedt sehr gekonnt mit dem zuweilen in glühender Emphase musizierenden Gewandhausorchester. Als unverhüllte Huldigung an Wagner fällt die trostreiche Melodie der Bratschen auf. Zuletzt sinkt alles leise in sich zusammen – sehr schön herausgearbeitet. Das d ist bei dieser subtilen Wiedergabe der unverkennbare Tragpfeiler des dritten Satzes, dessen Kobold-Zauber im strahlkräftigen Trompeten-Motiv gipfelt. Der gewaltige Choral der Hörner beherrscht das Finale, wo sich die unbändige Energie vor allem in der Durchführung steigert. Die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen gipfeln in einer grandiosen Coda, bei der die Violinen um ihr Leben zu spielen scheinen. Man vergisst diese Passagen nicht, sie bleiben unauslöschlich im Gedächtnis.
Alexander Walther