Sergej Rachmaninow
Sinfonie Nr. 1
Dortmunder Philharmoniker, Ltg. Gabriel Feltz
Das ist alles andere als Salonmusik oder gar Kitsch! Wenn auch die schon längere Diskussion darüber, ob Rachmaninows Musik Kunst oder Kitsch sei, erst vor Kurzem erneut diskutiert wurde (das Orchester 1/17), ist seine 1. Sinfonie g-Moll alles andere als das. Russisch bis ins Mark mit Anleihen an Modest Mussorgskij, Milij Balakirew und Peter Tschaikowsky.
Der gerne als letzter russischer Romantiker bezeichnete Komponist nimmt in seiner Tonsprache, insbesondere im feurigen Finalsatz in der exzessiven Behandlung der tiefen Streicher, sogar Dmitri Schostakowitsch vorweg. Dann aber auch viel Rachmaninow, von dem man in manchen Passagen bereits seine Sinfonischen Tänze zu hören meint. Ebenso da, wo sich Leidenschaft, Wildheit, Zorn, Verzweiflung und filmmusikreifer Schmelz aufs Engste kühn abwechseln, mit dem markanten, wagnernahen Unheil- und Unmut-Motiv aus dem Ring, welches das gesamte Werk durchzieht und hörbar in das thematische Material eingebunden ist.
Ein großes Glück für die musikalische Nachwelt, dass das Stimmenmaterial im Jahr 1945 von Alexander Hauk neu zusammengestellt wurde. Übrigens liest sich der Name oft als Gauk. Er ist deutscher Abstammung, die Familie zog im 19. Jahrhundert in die Ukraine. Da die russische Sprache jedoch kein H kennt, werden nicht nur Komponisten wie Händel oder Haydn mit einem G versehen: also Gändel, Gaydn oder eben Gauk.
Im Februar 2016 nahmen die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Gabriel Feltz die selten gespielte Sinfonie des erst 22-Jährigen auf. Für einen, der dieses Werk erstmals hört, wirkt sie zunächst vielleicht kratzbürstig, ungestüm, zerrissen. Doch versucht Feltz, die musikalischen Wogen zu glätten, Rachmaninows Zorn zu schlichten, seine Leidenschaft zu kontrollieren und eher das Kantable herauszukitzeln. Die Soli der Holzbläser beispielsweise, insbesondere der Klarinette dem Lieblingsinstrument der Russen , werden bestechend prägnant mit Klangfülle hervorgehoben, das Blech glänzt in den militärisch anmutenden Passagen, die Streicher sind bestens eingestellt und meistern ihre teils halsbrecherischen Stellen mit Bravour.
Dennoch dirigiert Feltz einen Rachmaninow, der trotz aller Dynamik und hoher Transparenz etwas brav, zu respektvoll daherkommt, mit fast 46 Minuten zu gemessen. Insbesondere die emotionale Bandbreite extremer Polarität, mit welcher der Komponist die Partitur würzte, scheint hier nur vorsichtig ausgekostet. Anders beispielsweise die Aufnahme mit Gennadij Roschdestwenskij: Er peitscht die Sinfonie in knapp 39 Minuten fast atemlos durch, setzt die Leidenschaft spannungsgeladener um, dirigiert das Larghetto beinahe sehnsüchtig, setzt das abschließende Marciale aggressiv, dynamisch-berstend um. Der Hörer scheint zeitweise den Würgegriff am Hals zu spüren. Ein großes emotionales Erlebnis, das hier jedoch fehlt. Ob man die Sinfonie allerdings so exzessiv hören will, steht auf einem anderen Blatt und muss jeder selbst entscheiden.
Werner Bodendorff