Zimmermann, Bernd Alois
Sinfonie in einem Satz (1. Fassung) / Giostra Genovese / Konzert für Streichorchester / Musique pour les soupers du roi Ubu
Allein die Originalversion von Bernd Alois Zimmermanns Sinfonie (1951), deren Manuskript Peter Hirsch aufgespürt und seiner Ersteinspielung zugrunde gelegt hat, macht diese Platte zum Ereignis. Auch Giostra Genovese (1962) erlebt eine CD-Premiere. Und zusammen bieten die vier Werke eine beeindruckende Sicht auf das Schaffen Zimmermanns: von den neoklassizistischen Anfängen über den freien Umgang mit der Dodekafonie und die eigenwillige Adaption alter Tänze bis hin zur totalen Zitatmontage. Diesen vielfältigen Klangwelten verleiht Hirsch gemeinsam mit dem exzellenten WDR Sinfonieorchester eine unglaubliche Faszination. Ihr Auftritt hochemotional und ausdrucksstark, brillant, luzid und herrlich verspielt; das Hör-Erlebnis ungewöhnlich packend
Sein pluralistisches Komponieren und die Kugelgestalt der Zeit hat Bernd Alois Zimmermann mit einem schönen Bild beschrieben: Die unvorstellbare, aber nichtsdestoweniger wirksame Vorstellung von Zeit als Kugelgestalt (ist sozusagen) ein Ball in der Hand eines Kindes. So fliegt der Ball zwischen dem Jetzt und dem Damals hin und her, und viele Anspielungen begleiten das federnde Hin und Zurück: Präsenz und Repräsenz, banchetto musicale gleichzeitig im Heute und Vorgestern. Er meint damit seine Montage von Tänzen verschiedener Meister des 16. und 17. Jahrhunderts, die Ballettsuite Giostra Genovese für kleines Orchester, mit der er keine fragwürdige historische Authentizität erreichen, sondern die Art und Weise seines Interesses an den Vorlagen zeigen wollte. Doch seine Methode von Collage und Décollage in einem Stück nur für Gourmets ging über die Köpfe hinweg.
Das war vier Jahre später bei Musique pour les soupers du Roi Ubu, einem Ballet noir en sept parties et une entrée, nicht mehr der Fall. Diese Collage, grundiert von den alten Tänzen, vollgepackt mit Zitaten aus der gesamten Musikhistorie, eingerahmt vom Dies-irae-Motiv und überdies ein Geschenk an die Ber-
liner Akademie der Künste, gebar nicht nur eines der originellsten und provokantesten Stücke der Neuen Musik, die Farce wurde überdies zum makabren und mahnenden Sinngedicht. Das Kind wurde erwachsen, der Ball ist kein Spielzeug mehr. Und aus dem Spiel ist bitterer Ernst geworden, so Peter Hirsch in Anlehnung an Zimmermanns Bild.
Der musikantische Impetus und das herbe Idiom des (Bartók-beeinflussten) Konzerts für Streichorchester (1948) wirken spürbar zeitgemäß. Aus der Zeit heraus fällt indes die Sinfonie (1951) durch ihre immense (Strawinsky-nahe) Ausdrucks- und Klanggewalt samt wilder Orgel-Attacken. Erst am Werkende wird das Ausgangsmaterial zur Themengestalt, nachdem es zuvor dem häufigen Wechsel von reihengebundenen und reihenfreien Abschnitten, von Klang-Mystik, Melodiebögen und Marschgestus ausgesetzt war. Die Neufassung von 1953 (Sinfonie in einem Satz) hat dann das Eruptive und Rhapsodische des Originals geglättet und geordnet. Dessen Ursprünglichkeit aber imponiert nach wie vor!
Eberhard Kneipel