Hans Winterberg
Sinfonia drammatica/ Piano Concerto No. 1/ Rhythmophonie
Jonathan Powell (Klavier), Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Johannes Kalitzke
Man kann das Schicksal des Komponisten Hans Winterberg (1901-1991) mit den Worten des Pianisten Jonathan Powell durchaus als „Symbol für die Schwierigkeiten des 20. Jahrhunderts“ charakterisieren.
Winterberg, in Prag als Sohn einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren, der fast zufällig tschechischer Staatsbürger wurde, eine katholische Frau heiratete und das Ghetto Theresienstadt überlebte, folgte nach 1945 seiner Frau und Tochter, die aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden, nach München. Er verbindet höchst unterschiedliche musikalische Einflüsse, die von Janáček und der Prager Musik der 1920er Jahre ebenso wie der Schönberg-Schule und deren Expressivität, aber auch von einem besonderen Interesse an komplexer Rhythmik geprägt ist, die im Laufe seines Komponistenlebens immer prägnanter wurde. Eine vom Dirigenten und Komponisten Johannes Kalitzke und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin eingespielte CD präsentiert nun drei eindrucksvolle Kompositionen von Winterberg, die das vielfältige musikalische Potenzial des weitgehend Vergessenen unterstreichen.
Die kompakte Sinfonia drammatica, 1936 entstanden, lässt in dunkler Expressivität das kommende Welt-Inferno aufscheinen, ist aber auch von Einflüssen der tschechischen Musik geprägt; Winterberg studierte bei Alois Hába, zu seinen Kommilitonen gehörte beispielsweise Gideon Klein.
Das 1948 geschriebene Klavierkonzert ist eines der ersten in Deutschland komponierten Werke der Nachkriegszeit, die Hans Winterberg als Jude, dessen Familie zu großen Teilen von den Nationalsozialisten ermordet wurde, paradoxerweise in einer sudetendeutsch geprägten Umgebung nahe München erlebte. Der englische Pianist und Komponist Jonathan Powell, der sich stets für musikalische Außenseiter eingesetzt hat, ist dank seiner souveränen Technik und der genauen Kenntnis der Klaviermusik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein nahezu idealer Interpret des kompakten Konzerts. Dessen dunkle Klangfarben bleiben auch im virtuos-toccatenhaften Finale im Vordergrund. Die rhythmische Prägnanz der Musik kommt bei Powell und Kalitzke stets zum Tragen.
Eine Aufführung seiner Rhythmophonie für Orchester (1966/67) erlebte Winterberg nie. Das ausladendste Werk auf dieser hörenswerten CD ist von Polyrhythmik und Polytonalität geprägt und stellt beachtliche Anforderung an seine Interpret:innen. Da ist Kalitzke der richtige Mann am Pult des Berliner Orchesters, der mit ordnender Hand die vielen gegensätzlichen Ausdrucks- und Stilmittel der Musik zu einem großen Ganzen verbindet. Der im lesenswerten Booklet gezogene Vergleich zu Béla Bartóks Wunderbarem Mandarin ist nicht nur der rhythmischen Kraft und Aggressivität der Musik mit ihrem hohen Schlagwerkanteil geschuldet.
Thomas Weiss