Wolfgang Amadeus Mozart

Sinfonia concertante KV 364/Symphony in G minor KV 550

Gordan Nikolić (Violine), Richard Wolfe (Viola), Netherlands Chamber Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tacet
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 66

Wenn die Corona-Krise eine Sache geklärt hat, dann ist es die, dass ein Live-Konzert durch nichts zu ersetzen ist. Alle Live-Streams, so ambitioniert und technisch ausgefeilt sie sein mögen, alle Internet- oder CD-Konserven, so grandios und einzigartig sie scheinen, machten doch nur eins: Hunger auf das Live-Erlebnis. Live-Mitschnitte oder Aufführungen in den Wohnzimmern und Hinterhöfen dieser Welt mögen einen rühren und für ein paar Minuten aus der Isolation reißen: Letztlich sitzt man allein vor dem Computer, der Stereo-Anlage oder dem Handy, mit Megaboxen vor dem Kopf oder Knöpfen im Ohr.
Sound-Systeme, die versuchen, das Live-Erlebnis im trauten Heim zu imitieren, scheinen nun die Nase vorn zu haben. Der SACD Tacet Real Surround Sound ist ein solcher Versuch, und der Katalog von Aufnahmen mit diesem System zählt bereits 70 (Klassik-)Beispiele. Dabei stehen die Mikrofone in der Mitte des Ensembles, das im Kreis darum herumsitzt. Empfohlen werden beim Abhören mehr als zwei Lautsprecher, um die klanglichen Effekte verfolgen zu können, aber jede SACD ist auch auf dem Zweikanal-CD-Player abspielbar. In Zeiten, in denen die CD bereits als Auslauf-modell gilt und die Jugend kaum mehr weiß, warum der alte Silberling den heimischen Schrank verstopfen soll, wo es doch fast alles über Streaming-Dienste im Internet zu erwerben gibt, kann ein solcher Raumklang vielleicht Ohren öffnen.
Mozarts Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester ist auf der neuesten Tacet-SACD genauso wie seine „große“ g-Moll-Sinfonie KV 550 inszeniert in diesem Raumklang. Der Hörer sitzt mitten unter den Instrumenten und hört die Violinen von vorne links und rechts, die Kontrabässe rechts hinten und die Bläser links und mittig hinten. Die Solisten haben genaue Positionen und mischen sich klanglich mit den Tutti-Kollegen. Man scheint verleitet, mitzuspielen. Was zwischen solchen Klangreizen und kompletter Sound-Illusion, bei der es scheint, dass der ganze Aufwand der Aufführung nur für mich ganz allein betrieben wird, allerdings fast zweitrangig wird, ist die Frage nach der eigentlichen musikalischen Interpretation, von der der äußerst fragile und authentische 3D-Klang der Instrumente bemerkenswert ablenkt.
Diese tritt stärker hervor, wenn man die ganzen Sound-Effekte auf den gewöhnlichen Stereo-Klang reduziert: Im Fall des Netherlands Chamber Orchestra und Gordan Nikolić (Violine und Leitung) sowie Richard Wolfe (Viola) ist die Mozart-Sicht nämlich entgegen der hoch modernen und raffinierten Technik relativ bieder, ja beinah antik. Trägt das musikantische Temperament die konzertante Sinfonie, so fehlt im g-Moll-Werk doch ein einender Intellekt, der über den schönen Klang der Musik hinaus auch eine spezifische Idee vom Geist des Werkes vermittelt.
Matthias Roth