Giuseppe Verdi

Simon Boccanegra

Christian Gerhaher, Jennifer Rowley, Christof Fischesser, Otar Jorjikia, Nicolas Brownlee, Brent ­Michael Smith, Opernhaus Zürich, Ltg. Fabio Luisi

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Accentus Music
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 79

Verdis Oper von 1857, uraufgeführt im Teatro la Fenice in Venedig, wird heute üblicherweise in der von Arrigo Boito überarbeiten Fassung gespielt. Die brachte die Mailänder Scala 1881 heraus und inzwischen findet man das Drama, in dem sich persönliche Tragik und politische Ränke kreuzen, öfter auf den Spielplänen. Die Szenerie des Stücks ist die der spätmittelalterlichen Republik Genua mit ihrem Dogen und der Bedrohung durch Piraten. Der Doge Boccanegra findet seine verloren geglaubte Tochter wieder. Die als Waisenkind in adeliger Gesellschaft erzogene Amelia verlässt den Vater für ihren Liebhaber Gabriele Adorno. Der intrigante Paolo, der Amelia auch für sich will und öffentlich bloßgestellt wurde, vergiftet Boccanegra. Auf der DVD ist nun die Produktion zu sehen, die in der Zürcher Oper im Dezember 2020 aufgrund der Pandemie ohne Publikum Premiere hatte. Immerhin konnte man die Aufführung auf arte TV und als Stream verfolgen.
In seiner letzten Verdi-Premiere für Zürich in seiner Amtszeit als musikalischer Chef findet Fabio Luisi mit der Philharmonia Zürich, einen dramatischen, nie exaltierten, manchmal sogar weichzeichnenden Verdi-Ton. In der Oper überwiegen die Männer-Partien. Die Sänger­besetzung ist mit Jennifer Rowley (Amelia), Christof Fischesser (Fiesco), Otar Jorjikia (Adorno), Nicolas Brownlee (Paolo) und Brent Michael Smith (Pietro) auch in den Ensembleszenen sehr gut. Auf das Rollendebüt von Christian Gerhaher in der Titelpartie durfte man gespannt sein. Gerhaher gelingt dabei ein musikalisch und psychologisch eindrückliches Porträt des Dogen.
Die Inszenierung des Hausherrn Andreas Homoki in der Ausstattung von Christian Schmidt entgeht der Versuchung des dekorativen Plüschs. Zu sehen ist eine Art großbürgerlicher Villa des späten 19. Jahrhunderts mit hohen Wänden. Das Holzgerippe eines Ruderboots deutet die maritime Atmosphäre an. Die Drehbühne eröffnet bei den Wechseln zu den Chor­szenen interessante Perspektiven. Kostüme und das spärliche Mobiliar (großer Esstisch, Leder-Sofas, ein dekorativer Strauß mit Weidenkätzchen) werden im Laufe des Stückes immer heutiger. Andreas Homoki inszeniert eher ein Kammerspiel als große Chortableaus. Und so sind auch die Einstellungen der Bilder. Das Video zeigt seltener die Bühnentotale, sondern fast immer die Protagonisten in (oft bildschirmfüllenden) Nahaufnahmen. In den recht schnellen Schnitten lassen sich die Personenführung und die Konfliktkonstellationen gut verfolgen. Dass eine Opern-DVD mehr sein sollte als eine abgefilmte Aufführung, macht die Liste der Kameraleute und des Stabs, der an der Postproduktion beteiligt war, deutlich. Man kann zwischen sechs Sprachen (auch Chinesisch und ­Japanisch) bei den Untertiteln ­wählen. Das Booklet enthält lesenswerte Interviews mit Christian ­Gerhaher über die Figur des Boccanegra und seine Annäherung an Verdi sowie mit dem Regisseur Andreas Homoki.
Gernot Wojnarowicz