Richard Wagner

Siegfried. Bayreuther Festspiele 1955

Martha Mödl, Wolfgang Windgassen u. a., Orchester der Bayreuther Festspiele, Ltg. Joseph Keilberth

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Hänssler Profil
erschienen in: das Orchester 11/2024 , Seite 70

1955 war ein besonderes Jahr für die Bayreuther Festspiele: Zum ersten Mal wurde damals Wagners Ring bei den Festspielen live aufgenommen. Der erste Zyklus der Aufnahme wurde bereits vor etlichen Jahren bei dem Label Testament veröffentlicht. Von dem zweiten Zyklus brachte Testament damals nur die Walküre und die Götterdämmerung heraus. Nun ist das Label Hänssler Profil nachgezogen und hat den zweiten Siegfried auf CD gebannt. Das ist durchaus zu begrüßen.
Am Pult steht Joseph Keilberth, der das blendend disponierte Festspielorchester zu einer flüssigen, weichen und getragenen, dabei immer intensiven und recht transparenten Tongebung inspiriert. Nachhaltig erteilt der Dirigent jeglichem falsch verstandenen Pathos eine klare Absage. Er deutet Wagners abwechslungsreiche Partitur ausgesprochen schlank und nuancenreich aus, wobei er relativ zügige Tempi anschlägt.
Zum großen Teil zufrieden sein kann man mit den gesanglichen Leistungen. Eine arge Hypothek für die Aufnahme stellt indes einmal mehr der insgesamt stark überschätzte Wolfgang Windgassen dar, der dem Siegfried in keiner Weise gerecht wird. Er war wahrlich kein Heldentenor. Dafür war seine Stimme viel zu klein. Sein ausgesprochen dünner, überhaupt nicht im Körper verankerter und keine solide italienische Technik aufweisender Tenor verfügt über keinerlei dramatischen Kern, der aber für diese Rolle so wichtig ist. Kraft, Biss und markante Intensität gehen ihm gänzlich ab. Darüber hinaus gefällt er sich allzu sehr im bequemen Ausruhen auf den Konsonanten und Klingern, was zwar die Textverständlichkeit erhöht, gesanglich aber gar nicht tolerierbar ist. Da singt Paul Kuen als Mime sehr viel ehrlicher und auch kräftiger. Eine differenzierte Leistung erbringt Hans Hotter in der Partie des Wanderers. Kraftvolles Auftrumpfen und beredtes, weiches Singen gehen in seiner vokalen Interpretation Hand in Hand. Übertroffen wird er von Gustav Neidlinger, dessen Alberich von ganz enormer bassgewaltiger Strahlkraft und einem Höchstmaß an Ausdruckskraft geprägt wird. Das ist die beste Leistung auf der CD! Ein profunder Fafner ist Josef Greindl. Mit imposantem Mezzosopran gibt Maria von Illosvay die Erda. Was Martha Mödls Brünnhilde in der Höhe an schöner Körperstütze der Stimme vermissen lässt, macht sie durch eine sehr sonore, gefühlvolle Mittellage wieder wett. Lediglich mittelmäßig klingt der flach und gar nicht im Körper singende Waldvogel von Ilse Hollweg.
Für diese Aufnahme, die trefflich dirigiert wird und einige fantastische sängerische Leistungen aufweist, insgesamt aber doch zu stark unter der schlechten Leistung Windgassens leidet, gebe ich vier Punkte. Schön wäre es, wenn Hänssler aus dem zweiten Ring-Zyklus von Bayreuth 1955 auch noch das Rheingold auf CD bannen würde.
Ludwig Steinbach

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