Umberto Giordano

Siberia

Orchestra e Coro del Maggio Fiorentino, Ltg. Gianandrea Noseda, Regie: Roberto Andò

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Dynamic
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 73

Das Werk hat ein grundlegendes Inszenierungsproblem: Wie in Janá­čeks Totenhaus oder im letzten Akt von Lady Macbeth von Mzensk ist die Darstellung dreckig-armer-roher Lager-Realität kaum zu bewältigen – welcher Chor, welche Solisten würden in derartigen Kostümen auftreten? Umberto Giordano wollte seinen Geniestreich von André Chenier wiederholen. Das gelang 1898 bereits mit Fedora nur in Teilen – und das 1903 uraufgeführte Musikdrama Siberia hat bis heute zu kämpfen: der Schlussakt spielt in einem öden Straflager …
Die Dramatik von Luigi Illicas Libretto kann in Teilen überzeugen: Der jugendliche Offizier Vassili liebt die zur fürstlichen Edelkurtisane aufgestiegene Stephana und erschießt den Fürsten; er wird nach Sibirien verbannt, sie folgt ihm; ihr geschäftstüchtiger Zuhälter will sie dort zurückgewinnen und erpresst sie; auf der Flucht des Liebespaares opfert sich Stephana und fängt die tödlichen Kugeln ab – sterbend küsst sie die Erde Sibiriens. Gutwillige Analytiker sehen in den Akt-Titeln („Hetäre“, „Liebende“, „Heldin“) ein Läuterungsdrama mit „Maria-Magdalena-Zügen“ – was nicht ganz überzeugt. Insbesondere der Finalakt häuft zu vielerlei. Das Bühnenteam um Regisseur Roberto Andò will das Ganze retten, indem es die Bühnenhandlung als Aufzeichnung eines B-Pictures mit einem Kamera-Team in den Szenen „vorführt“. Um die Glaubwürdigkeit des Ganzen zu erhöhen, fahren wiederholt Leinwände herunter und zeigen alte Schwarzweiß-Filmsequenzen von Revolutionen, Verhaftungen und Gefangenen-Märschen. Warum zu Stephanas Sterben in der Osternacht dann ein Stalin-Porträt aufscheint, bleibt unergründlich.
All diese Probleme überstrahlt Giordanos Komposition. Er hat russische Melodien, vom Lied der Wolgaschlepper bis zur Zarenhymne, verarbeitet und lässt die Chorpassagen wogen. Vor allem aber flammen in den durchkomponierten Szenen wiederholt große Emotionen auf – und diese glutvolle Italianità hat immer wieder hervorragende Starsänger angezogen. Jetzt beeindruckt das gewählte Solisten-Trio und macht das Werk hörenswert.
Wolf-Dieter Peter