Gerald Barry
Sextett
for clarinet doubling bass clarinet, trumpet, two marimbas, piano and double bass, Partitur/Stimmen
Der irische Komponist Gerald Barry liebt eine klare musikalische Sprache. Sie reicht von schonungsloser Härte bis zu Transparenz, die aber immer klar konturiert bleibt. In Barrys Musik finden sich Klangflächen, in denen die Musik etwas surreal Objekthaftes erhält, pointierte Rhythmen, grelle Klanglichkeit und ein kantiger und grimmiger Humor. In fast schon slapstickhafter Weise tobt sich der in Alice’s Adventures Under Ground, Barrys jüngster (von sechs) Opern aus.
Sein Werkkatalog, das meiste davon bei Schott in London erschienen, ist umfangreich. Nun liegt auch sein Sextett für Klarinette (in B) bzw. Bassklarinette, Trompete in C, Kontrabass, zwei Marimbafone und Klavier vor, dessen Uraufführung bereits im Februar 1993 über die Bühne ging. Es handele sich um ein Stück, „in dem die Momente des Wechsels zwischen den Abschnitten genauso wichtig sind wie die Musik – ähnlich den Stellen in Gemälden, an denen sich Objekte oder Farbflächen treffen“, teilt Barry im Vorwort mit. Das klingt nach Momenten der Ruhe zwischen in sich geschlossenen Teilen, in denen im Hörer quasi eine eigene, ungeschriebene Musik entsteht.
Das aber wäre zu psychologisch gedacht. Barry jedenfalls gönnt in seinem Sextett dem Hörer kaum eine Sekunde zum Innehalten, die Abschnitte folgen unmittelbar aufeinander. Die Musik steht Strawinsky viel näher als etwa Morton Feldman, der gleichfalls gerne Vergleiche mit der Malerei heranzog.
Im ersten Abschnitt steht die Trompete mit einer längeren solistischen Phrase im Mittelpunkt. Schnelles Tempo, häufige Taktwechsel, knappe Phrasen. Die Melodik ist sprunghaft, eckig. Bei Buchstabe A ein Farbwechsel: Klavier und Marimbafone übernehmen, die Trompete schweigt. Und man merkt, dass Vergleiche mit Malerei oft auch in die Irre führen. Denn Barry wendet nun das gute, alte, extrem musikspezifische Verfahren des Krebses an: Die Instrumente rollen die Trompetenstimme von hinten wieder auf. Und nicht nur das: Marimbafon 2 sowie die linke Hand im Klavier spielen jeweils die Umkehrung dieses Materials. Barry erweist sich also als gewiefter Kontrapunktiker und wird dies auch im weiteren Verlauf des Stücks bleiben. Reihentechniken dürfte er im Studium bei Karlheinz Stockhausen, die Portion kauzigen Humor vielleicht im Unterricht bei Mauricio Kagel erworben haben.
Fehlt noch der Kanon. Der kommt denn auch sogleich bei Buchstabe B zur Anwendung. Erneuter Farbwechsel: Eine etwas geglättete, stärker „melodisierte“ Tonfolge wird im engen Abstand von einer Viertelnote von Klavier, Kontrabass und Bassklarinette präsentiert. Noch enger wird’s am Schluss: ein dreistimmiger Kanon im Achtelabstand. Wegen des hohen Tempos ist das eine höchst anspruchsvolle Aufgabe wie überhaupt das gesamte Stück sehr professionelle Ausführende braucht. Doch in die Welt eines Gerald Barry einzutauchen, ist ein lohnenswertes Unterfangen. Von scherzhaften Äußerungen sollte man sich dabei nicht irritieren lassen. Sein jüngstes Werk (2018) etwa ist ein Orgelkonzert, eine Hommage an eine „Hauskatze und ihren offensichtlichen Kampf gegen die Tonalität“.
Mathias Nofze