Hans Pfitzner

Sextett op. 55

für Klavier, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klarinette

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Johannes Oertel Verlag/Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 67

Ein klangvolles Werk mit 25 Minuten imposanter, emotionaler und definitiv ausgefeilt komponierter Musik: Hans Pfitzners Sextett op. 55 (1945) für Klavier, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klarinette liegt nun als neue Ausgabe der Edition Schott vor. Das Sextett, man könnte es auch als Suite für Klarinette, Streichquartett und Klavier bezeichnen, dauert fast eine halbe Stunde und nutzt alle klanglichen Register des Spät­romantikers, der sein kompositorisches Handwerk genial versteht und seinen eigenen Stil längst gefunden hat.
Das Allegro con passione lässt zuerst die Klarinette, als einziger Bläser fast noch etwas solistischer besetzt als die fünf anderen Solisten, eine kleine Solokantilene beginnen. Der Rest begleitet kultiviert. Bald schon steigt die Violine für kurze Zeit in diese Kantilene ein, doch ehe es zu entspannt werden könnte, leiten Achtelketten im Klavier zum zweiten, etwas ruhigen Thema. Pfitzner versteht sein Handwerk, jedes Instrument ist optimal und effektvoll versorgt und am Schluss (harmonisch moduliert, immer ein kleines bisschen von der Klarinette dominiert und vom unermüdlichen Klavier mit Tonfülle versehen) endet dieser Satz in einem langen Akkord. Nach so viel elegantem Aufruhr verspricht der zweite Satz (Quasi minuetto) ein erholsames Tänzchen. Klarinette und Streicher legen vor, das Klavier kommt später, mit ein paar koketten Arpeggien geschmückt, dazu. Dieses Menuett ist auffallend leichtfüßig nach dem latent dräuenden ersten Satz, erinnert entfernt an einen Walzer aus dem märchenhaften Wienerwald. Pfitzner wusste eben, wie belebend Kontraste sein können.
Rondoletto heißt der dritte Satz und assoziiert weißgepuderte Perücken. Das Klavier zieht ihn jedoch bald sanft ins 20. Jahrhundert – in das 20. Jahrhundert eines Hans Pfitzner, der seinen eigenen Weg ging. Die Form des Satzes bietet Pfitzner Möglichkeiten für solistische Glanzstücke, die er anscheinend mühelos auf das Notenblatt gebracht hat. Der vierte Satz (Semplice, misterioso) entwickelt sich nach lyrischem Beginn zum dichten, wohlsortierten Tongeflecht. Jedem Instrument schrieb Pfitzner hier ein paar Takte Wohlklang auf den Leib, auch das Klavier darf einmal ganz allein agieren. Die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der sechs Instrumente nutzt Pfitzner gekonnt, überrascht mit vielen Wendungen, die einander an melodiöser Schönheit übertreffen – ein Fest für das Ohr.
Es ist müßig, sich zu ausführlich mit Pfitzners heftigen verbalen antisemitischen und antidemokratischen Ausfällen zu beschäftigen. Er wurde im Nazireich nicht zum Star der braunen Musikkultur. Es soll an seinem schwierigen Charakter gelegen haben, dass Hitler und Goebbels ihn nicht schätzten.

Heike Eickhoff