Stefanescu, Crisula

Sergiu & Ioana Celibidache

Geheimnisse einer großen Liebe

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Langen Müller, München 2012
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 58

Ganz unerwartet kommt diese Neuerscheinung wohl nicht auf den Buchmarkt: jene über den berühmten rumänischen, 1996 verstorbenen Dirigenten Sergiu Celibidache, dessen Geburtstag sich 2012 zum 100. Mal jährt. Es handelt sich dabei nicht eigentlich um eine Biografie über den einstigen Chefdirigenten der Berliner und der Münchner Philharmoniker, schon gar nicht um ein Werk über seine Interpretationskunst; sondern eher um ein locker gefügtes, kaleidoskopartiges Bild über ein Zusammenleben, geschildert aus der Sicht der Ehefrau, der Malerin Ioana Celibidache. Der Text basiert auf fünf ausführlichen Interviews, die die rumänische Journalistin Stefanescu im Jahr 2011 in Paris mit Ioana Celibidache führte, kurz vor deren Tod im Jahr 2012.
Bei aller Vielfalt der angesprochenen Motive aus dem Leben der beiden geht es, wie der Buchuntertitel anzeigt, auch immer wieder um das Thema Liebe. Fügt man die verstreuten Hinweise hierzu in einen etwas festeren Rahmen, so ergibt sich in etwa folgendes Bild: Das Paar, beides rumänische Staatsbürger, lernt sich 1950 in Buenos Aires kennen. Ioana, die zwölf Jahre jüngere Frau, wird ihm, dem Dirigenten, obwohl selbst in zweiter Ehe lebend, nach Wien folgen, bei ihm bleiben, obwohl ihr Ehemann 15 Jahre lang nicht in die Scheidung einwilligen wird. 45 Jahre lang wird dieses ungewöhnliche Künstlerpaar zusammenleben, ohne dass es Affären gab, wie Ioana betont; eine Beziehung, basierend auf Liebe, gegenseitigem Respekt, Humor, natürlich auch mit Meinungsverschiedenheiten; mit gemeinsamen künstlerischen Projekten wie dem Ausbau der Mühle in Neuville und dem Bau einer Villa in Lipari auf Sizilien; mit gemeinsamer Arbeit etwa an einem Kinderbuch. Das Paar hat einen Sohn, Serge, auch Milky genannt, heute Verwalter des Erbes seines Vaters.
Natürlich erfährt man etwas über den Dirigenten Celibidache – etwa über die Kränkung, als die Berliner Philharmoniker 1954 Karajan zu ihrem Chefdirigenten bestellten; über die großen Erfolge bei den Münchner Philharmonikern und anderen großen Orchestern; über die Fähigkeit, alles auswendig dirigieren zu können; seine Weigerung, CD-Aufnahmen zu machen; seine Fähigkeit, Konzerte in magische Klangereignisse umzuwandeln.
Aber das vorliegende Buch ist natürlich vor allem auch eines über Ioana Celibidache selbst. Da blitzt vieles auf von ihrer unbändigen Lebenslust, ihrem Weltbürgertum, ihrer Vorliebe für das Paris der Nachkriegszeit. Es ist ein grenzüberschreitendes, die ganze Welt in sich aufnehmendes Leben, das da gelebt wird – mit irgendwelchen bürgerlichen Maßstäben ohnehin nicht zu messen. Staatsbürgerschaften werden den Celibidaches von überall her angeboten; als weltberühmter und einer der bestbezahlten Dirigenten haben er und seine Frau ohnehin überall Zutritt, sei es zu Staatspräsidenten oder zur Hocharistokratie. Und das glänzend aussehende Paar weiß auch diese Welt perfekt zu repräsentieren.
So entsteht, gewissermaßen fast unbeabsichtigt, aus dem langen Interview das Bild einer polyglotten, weltumspannenden, künstlerisch überreich gefüllten Welt, die sich nahtlos in die Tradition einer alten europäischen Hochkultur einreiht.
Winfried Rösler