Bohuslav Martinu˚

Serenade Nr. 1 H 217

Urtext, Studienpartitur/Stimmen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter,
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 77

Er war ein äußerst vielseitiger und experimentierfreudiger Komponist, sein Werkkatalog umfasst fast 400 Kompositionen in fast allen Gattungen. Da gibt es eine Fantasie für Oboe, Streichquartett, Klavier und das ätherisch klingende Theremin; die Stowe Pastorals, die neben Klarinette und Streichtrio mit fünf Blockflöten aufwarten; auffallend viele Opern, darunter die vielgespielte Griechische Passion; eine Unmenge von Instrumentalkonzerten, sechs Sinfonien, Ballettmusik und anderes mehr.

Die Rede ist von Bohuslav Martinů, den manche auch den „tschechischen Prokofjew“ nennen. Zu Beginn seiner kompositorischen Laufbahn noch vom Impressionismus Debussys beeindruckt, näherte er sich später, nach seiner Übersiedlung 1923 nach Paris, Strawinsky und der Gruppe „Les Six“ an. Deren Motto: weniger Ego, mehr Spaß, Verzicht auf kompositorische Systeme, stattdessen Leichtigkeit der Faktur und vor allem keine Berührungsängste vor populärer Musik wie etwa dem Jazz. Auch dem Massensport gegenüber rümpfte Martinů nicht die Nase: So schrieb er ein Orchesterstück Half-Time, das die gespannte Erwartung von Fußballfans vor der zweiten Halbzeit einzufangen versucht.

Um 1930 entwickelte Martinů – als Komponist im Wesentlichen Autodidakt – die von ihm so getaufte „Zellentechnik“. In der Seine-Metropole komponierte er zwei Jahre später innerhalb sehr kurzer Zeit vier Serenaden in jeweils unterschiedlichen Besetzungen. Die erste veranschaulicht Martinůs schöpferisches Credo zu diesem Zeitpunkt aufs Schönste. Besetzt ist sie mit Klarinette in B, Horn in F, drei Violinen und Viola und dauert rund sieben Minuten.

Die rhythmisch-motivische „Zelle“ im ersten Satz, einem Allegro moderato, besteht aus zwei Sechzehnteln plus einem Achtel. Sie springt munter im Taktgefüge herum, sucht sich manchmal noch ein paar zusätzliche Sechzehntel als Gefährtinnen, oder schrumpft auf reine Tonwiederholung zusammen. Die Musik strahlt eine verschmitzte Heiterkeit aus. Der zweite Satz, ein Larghetto, nimmt durch eine zarte Innigkeit für sich ein, der jede Spur von Ironie fehlt. Das Schlussallegro steigert die Freude am spielerischen Fluss zur Ausgelassenheit, die aber mit Maß daherkommt. Melodie: Fehlanzeige, stattdessen ein beinah sportives Mit- und Gegeneinander von knappen Motivbausteinen.

Bärenreiter legt das Werk in der Reihe seiner bewährten Urtextausgaben vor. Die Neuausgabe – die Partitur erschien erstmals 1949 – ist Teil der Kritischen Gesamtausgabe der Werke Martinůs. Die wiederum reiht sich ein in die editorischen Bemühungen des Verlags um das Œuvre zahlreicher tschechischer Komponisten. Dafür gründete man 1991 eigens „Bärenreiter Praha“. Herausgeberin Jitka Zichová stützte sich für die Neuausgabe hauptsächlich auf die autografe Partitur, die im tschechischen Musikmuseum in Prag aufbewahrt wird. Die Serenade Nr. 1 wie auch die Nummern 2 bis 4 fanden erst nach geraumer Zeit den Weg in die Öffentlichkeit: Die Uraufführung des Zyklus datiert vom 29. Januar 1940. Dank der erstklassigen Neuausgabe steht weiteren Aufführungen nun nichts mehr im Wege.

Mathias Nofze