Edward Elgar
Serenade e-Moll Opus 20
für Streichorchester
Obgleich Edward Elgars 1892 komponierte Streicherserenade e-Moll op. 20 neben den gewichtigen, ihr historisch vorausgehenden Kompositionen des späten 19. Jahrhunderts – Antonín Dvořáks Serenade E-Dur op. 22 (1875), Peter Tschaikowskys Serenade C-Dur op. 48 (1880) und Josef Suks Serenade Es-Dur op. 6 (1890) – geradezu miniaturhaft anmutet, handelt es sich dabei doch um eine ganz besondere Perle des Repertoires. Die Beschränkung auf einen dreisätzigen Formverlauf, die reduzierten Dimensionen der Einzelsätze und die abschließende Rückkehr des an dritter Stelle stehenden Allegrettos zum Thema des Kopfsatzes weisen den damals 35-jährigen Elgar, obgleich hier erst am Beginn seiner Laufbahn als Komponist stehend und in Bezug auf dieses Metier ein Autodidakt, als einen Meister formaler Invention aus. Der filigrane Streichersatz wiederum überzeugt durch großes Gespür für die unterschiedlichen Möglichkeiten des fünfstimmigen Streichorchesters, erschlossen mittels variabler Satztechniken, die kontrapunktische Melodieverläufe ebenso umfassen wie eine Unterteilung der Einzelstimmen, den solistischen Einsatz einzelner Instrumente oder die kalkulierte Benutzung der Streicherregister zur Erzeugung spezifischer Klangfarbeneffekte und Ausdruckswerte.
Dass Rupert Marshall-Luck bei der Vorbereitung seiner im Druckbild von Partitur und Stimmen wunderbar aufgeräumt wirkenden Urtextausgabe viel Sorgfalt an den Tag gelegt hat, wird deutlich, wenn man das publizierte Ergebnis mit der alten Breitkopf-Edition vergleicht. Der mehrere Seiten umfassende kritische Bericht, der am Ende der Dirigierpartitur abgedruckt ist und dankenswerterweise (ebenso wie das informative Vorwort) auch in die Studienpartitur übernommen wurde, verweist auf zahlreiche Fahrlässigkeiten und Diskrepanzen, die der Herausgeber vor allem unter Rückgriff auf die Partiturautografe der Einzelsätze, auf wenige Skizzen und auf die von Elgar eigenhändig eingerichtete Klavierfassung des Werks ausgeräumt hat. Wie stark sich diese Änderungen auf die Klanggestalt der Serenade auswirken können, lässt sich wohl am deutlichsten im dritten Satz bemerken, wo die Spitzentöne der ersten Violinen während der ersten drei Takte gegenüber der früheren Ausgabe nun als Flageoletts markiert sind, wodurch eine ganz besondere klangliche Abschattierung der darunter verlaufenden Kantilene der zweiten Violinen entsteht.
Dass Marshall-Luck bei alldem nicht der Versuchung nachgegeben hat, die mitunter in einzelnen Stimmen fehlenden dynamischen Angaben ergänzend anzugleichen und so eine zusätzliche editorische Ebene in den Notentext einzufügen, ist keinesfalls als Manko der Edition anzusehen; vielmehr zeugt es vom Vertrauen in die Fähigkeiten der Ausführenden.
Stefan Drees