Otakar Sevcík

Schule der Bogentechnik für Violoncello

op. 2, Heft I und II/Heft III und IV/Heft V und VI, Spielpartituren

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Prag
erschienen in: das Orchester 06/2019 , Seite 61

Gründlicher geht’s kaum! Die Lehrwerke des tschechischen Geigers Otakar Ševčík (1852-1934) gelten als Maß aller Dinge, wenn es um systematische Durchleuchtung aller technischen Aspekte des Geigenspiels geht. Unter demonstrativem Verzicht auf musikalische Reize bieten diese Werke tausende von Beispielen für Tonverbindungen aller Art. Vom Streichen der leeren Saiten über einfache Tonleitermodelle bis hin zu komplizierten Stricharten, Lagen- und Saitenwechseln und deren Verknüpfungen: Hier ist alles drin!
Einige dieser Kompendien wurden für die anderen Streichinstrumente bearbeitet, so auch Ševčíks Opus 2, die Schule der Bogentechnik: Die erste Cello-Adaption stammt vom französischen Cellisten Louis Feuillard (1872-1941) und ist nach wie vor in einer Neuauflage des Verlags Bosworth lieferbar. Nun legt Bärenreiter eine neue Version vor. Der tschechische Cellist Tomáš Jamník hat den Versuch unternommen, Ševčíks methodischen Ansatz auf das Cello zu übertragen: Keines der Ševčík’schen Module enthält Lagenwechsel, die Konzentration des Übenden soll hierdurch nicht vom Hauptthema abgelenkt werden.
Über weite Strecken war Jamník durchaus erfolgreich, allerdings kann auch er keine anatomischen Wunder vollbringen: Viele Beispiele, für die Ševčík die ausschließliche Verwendung der 1. Lage vorsieht, sind auf dem Cello nur unter Einbeziehung der 2. Lage spielbar. Die hieraus resultierenden Schwierigkeiten bleiben indes überschaubar, so dass Ševčíks Grundidee erhalten bleibt. Sehr geschickt sind Jamníks Adaptionen der Arpeggien: Unter Einbeziehung der leeren Saiten vermag er Ševčíks Zuordnungen der Töne zu jeweils zwei oder drei benachbarten Saiten auf das Cello zu übertragen.
Die Intention wird deutlich: Dort, wo Ševčík einen Saitenwechsel vorsieht, soll möglichst auch auf dem Cello ein Saitenwechsel gemacht werden. Problematisch wird die Übertragung dort, wo Ševčík ein Modul in eine andere Lage überträgt, so etwa in den Beispielen Nr. 9, 10 oder 12. Wer sie auf der Geige spielt, begibt sich in die 4., 5. oder 7. Lage und kann ansonsten das in der 1. Lage geübte Pattern an neuem Ort „downloaden“. Nicht so der Cellist: Hier sind Lagenwechsel unumgänglich und teilweise kommt es dabei, etwa im Beispiel 12, zu heftigem Fingerhakeln. Nicht immer glücklich wird man auch mit Jamníks Daumenlage-Versionen dieser Beispiele im Supplement-Band: Hier wäre die eine oder andere römische Ziffer (zur Orientierung, auf welcher Saite man sich einfinden möge) hilfreich gewesen.
In seinem Anspruch, den „ganzen“ Ševčík zu bieten, durchaus respektabel, zeigt Jamníks Unternehmen mithin einige Schwächen. Lobenswert ist allemal seine, verglichen mit Feuillards Version, engere Orientierung am Original. Aus einer C-Dur-Übung bei Ševčík wird folgerichtig – entsprechend der Saitenanordnung – ein F-Dur-Modul bei Jamník. Dennoch: Vielleicht zeigt gerade diese Edition, dass die Verwandtschaft zwischen Geige und Cello auch ihre Grenzen hat.
Gerhard Anders