Walter Werbeck (Hg.)

Schütz-Handbuch

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler
erschienen in: das Orchester 7-8/2022 , Seite 62

Dieses lange erwartetete Handbuch zieht anlässlich des 350. Todesjahres von Heinrich Schütz eine Bilanz des Wissens und der Forschung über den „Meister der protestantischen Kirchenmusik“, der nicht nur als Dresdner Hofmusiker – und das zu verdeutlichen ist das Anliegen des Buchs – weit mehr war als ein Kirchenmusiker. Hans Heinrich Eggebrecht brachte dies einmal in folgendem – ironisch zugespitzten – Bonmot auf den Punkt: „Die Präsenz von Schütz ist die ­Abwesenheit Gottes.“ Herausgeber Walter Werbeck macht die Problematik der Bewertung von Schütz bereits im ersten Kapitel anhand einer kommentierten Gegenüberstellung der erhaltenen Schütz-Bilder vor dem Hintergrund der wesentlichen Schütz-Biografien deutlich.
Schon die frühen Lebensstationen des Komponisten – in Köstritz geboren am 8. Oktober 1585, dann in Weißenfels, Kassel und Marburg zugange – waren durchaus ungewöhnlich, wie Gerhard Aumüller darstellt. Eine beispiellose Karriere. Bei zwei Venedig-Aufenthalten – über die man fast nichts wisse, wie Silke Leopold in ihrem Beitrag beredt ausführt – hat Schütz Giovanni Gabrielis Musik kennengelernt. Immerhin war Venedig um 1600 „nach Paris, Neapel und London […] die viertgrößte Stadt Europas“ – eine Metropole, die auch musikalisch repräsentierte.
Die „Opulenz der Besetzungen, die Klangpracht der mehrchörigen Kompositionen“ der Serenissima sollten nachhaltig auf Schütz und sein eigenes Komponieren wirken – vor allem in Dresden, seinem Haupt­wirkungsort ab 1615 für Jahrzehnte. Als dortiger Organist, Hofkapellmeister, Kirchen- und Tafelmusiker sowie musikalischer Organisator auch am dänischen Hof, zudem Berater in Braunschweig, Wolfenbüttel, Zeitz und anderswo hat er immense Aktivitäten entfaltet und ein respektgebietendes Werk geschaffen.
„Das Leben von Heinrich Schütz zu erzählen, lässt sich an wie ein Roman“, schrieb zu Recht schon Michael Heinemann in seiner hervorragenden, bei Rowohlt erschienenen Monografie von 1994. Das nun bei Bärenreiter/Metzler veröffentlichte Schütz-Handbuch trägt dieser Behauptung vollends Rechnung. Wie der Musikwissenschaftler Friedrich Chrysander – der sich mit Bach, Händel und Schütz bestens auskannte – schon 1858 schrieb: „Es war […] Heinrich Schütz, welcher für die deutsche Musik wirkte wie ein Heiliger für die Kirche.“ Alfred Einstein überbot dieses Kompliment noch mit der Bemerkung: „Es ist nicht bloß Snobismus, wenn Schütz von einigen Sonderlingen tiefer geliebt wird als Bach.“
Wie auch immer: In Werbecks reich bebildertem Schütz-Handbuch – an dem insgesamt 21 Autor:innen und Fachgelehrte mitwirkten – wird den biografischen Stationen breiter Raum gewidmet und sein überwältigendes Werk, seine Aufführungspraxis und seine Rezeption präzise und umfassend dargestellt, um „zu einer differenzierteren Sicht auf den Komponisten“ beizutragen. Werk- und Personenregister sowie umfangreiche weiterführende Literatur­hinweise machen dieses Buch schon jetzt zu einem konkurrenzlosen Standardwerk.
Dieter David Scholz