Franz Schubert
Schubert Ouvertüren. Lebensfreude
Berliner Symphoniker, Ltg. Hansjörg Schellenberger
Lebensfreude pur? Vermutlich empfänden wir eine Musik, die ausschließlich dieses Gefühl transportiert, über kurz oder lang als uninteressant, facettenarm, langweilig. Unter Marketing-Gesichtspunkten mag es entschuldbar sein, eine Kollektion Schubert’scher Ouvertüren mit diesem Label zu bekleben. In Wahrheit vernehmen wir hier selbstverständlich auch dunkle und dramatische Töne.
Dem Ouvertüren-Komponisten Franz Schubert eine CD zu widmen und zugleich ein Schlaglicht zu werfen auf eine interessante Formgattung und ihre Geschichte – von der barocken Opern-Sinfonia über die „antizipierende“ (Inhalte der folgenden Oper andeutende) Ouvertüre klassischer und frühromantischer Prägung bis hin zur selbstständigen Konzertouvertüre – ist allemal ein lohnendes Unternehmen. Wir hören die Ouvertüren „im italienischen Stil“ D 590 und 591 – Schuberts unmittelbare Auseinandersetzung mit der Musik Rossinis –, außerdem die Ouvertüren zu Rosamunde, zur heroisch-romantischen Oper Fierrabras, zum Singspiel Der häusliche Krieg, zur Komödie Der Teufel als Hydraulicus sowie zwei Konzertouvertüren (D 556 und
D 8), deren zweite – ein genial-düsterer Streichquintett-Satz des Vierzehnjährigen – eigentlich zur Kategorie Kammermusik gezählt werden müsste.
Der Dramatiker Schubert blieb zu Lebzeiten nahezu erfolglos. Im komödiantischen Fach beherrschte Rossini die Wiener Szene, und auch auf dem Gebiet des Singspiels und der Großen Oper hatten andere die Nase vorn. Hört man Schuberts Ouvertüren vor diesem Hintergrund, so kann man vermuten, dass – bei aller zugestandenen „Lebensfreude“ – gerade jene Wendungen, die den Melancholiker Schubert hervortreten lassen, einem unmittelbar zündenden Theatercoup im Wege standen. Gewiss bewegt sich Schubert in den „italienischen“ Konzert-Ouvertüren überzeugend in der Welt Rossinis, und doch zeigt sich selbst hier gelegentlich jener „Zug nach innen“, der uns aus Schuberts sonstigem Œuvre vertraut ist.
Die Berliner Symphoniker – jenes „kleine“ Orchester, das seit Jahrzehnten durch breitgefächerte Programme und natürlich durch exquisites Spiel seinen Platz in der gewaltigen Berliner Orchesterlandschaft behauptet – präsentieren sich klangschön, homogen, zu strahlendem Tutti ebenso aufgelegt wie zu kammermusikalischer Delikatesse. Sie spielen Schuberts Musik mit fein abgestuftem Klangbild, transparent und zugleich warm, in den Streichern mit „kalkuliertem“ Vibrato, in den Bläsern mit viel Gespür für Satzhomogenität. Letzteres ist gewiss ein besonderes Anliegen des neuen Chefdirigenten Hansjörg Schellenberger. Der langjährige Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker verfügt über reiche Erfahrung auch am Dirigentenpult. Ergebnis seiner künstlerischen „Ehe“ mit den Berliner Symphonikern ist hier die spannende Präsentation einer zu Unrecht vernachlässigten Werkgruppe Schuberts. Vielleicht hören wir Orchester und Dirigent auch einmal in einem der Schubert’schen Bühnenwerke? Gewiss träfen sie auch hierfür den „rechten Ton“.
Gerhard Anders