Gerold Gruber

Schönberg verstehen

Überwältigende Vielheit dissonanter Klänge

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Böhlau, Wien
erschienen in: das Orchester 4/2025 , Seite 67

Den Begriff „Atonalität“ schätzte Arnold Schönberg nicht, er nannte ihn gar „falsch“. Was aber vollzog sich in jenen explosiven Werken, die in den Jahren 1908/1909 entstanden? Nach des Komponisten eigenen Worten „konnte die überwältigende Vielheit dissonanter Klänge nicht länger durch gelegentliche Anbringung […] tonaler Akkorde ausbalanciert werden“. Der Theoretiker Schönberg nahm in seiner 1911 publizierten Harmonielehre die Situation analytisch unter die Lupe und überschrieb die entscheidenden Kapitel mit Titeln wie „An den Grenzen der Tonalität“ und „Über schwebende und aufgehobene Tonalität“.
Gerold Gruber – Professor an der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst, Leiter des Vereins „exilarte“ (der Name ist Programm) und Schönberg-Experte – widmet sich in Schönberg verstehen einem zentralen Werk der „explosiven“ Periode: den Drei Klavierstücken op. 11. Im Zusammenhang mit dieser Komposition spricht Schönberg selbst in seiner amerikanischen Zeit rückblickend von einem „new style of expression“. Es mangelte in der Folge nicht an Essays und Analysen: Rudolph Réti (1910) und Leonhard Welker (1912) gehörten zu den ersten Kommentatoren. Bis ins späte 20. Jahrhundert haben sich zahlreiche Autoren mit Opus 11 auseinandergesetzt.
Grubers Buch verfolgt zwei Intentionen: Zum einen bietet es eine musikanalytische Rezeptionsgeschichte, indem es Beiträge zu Opus 11 von Edwin von der Nüll, Hugo Leichtentritt, Jan Maegaard, Reinhold Brinkmann, Rudolph Réti und Allen Forte detailliert darstellt, in Beziehung setzt zu anderen Autoren, zu Schönbergs eigenen Schriften sowie zu den Repliken des Komponisten, etwa auf die Arbeiten Rétis. Zum anderen verfolgt Gruber „das Ziel einer Synthese von arapunkts. Auch Schönbergs Korrespondenz mit Busoni im Zusammenhang mit Op. 11/2 sowie einen aufschlussreichen Exkurs zum Thema „Schönberg und die Programmmusik“ bezieht Gruber mit ein.
Ziel erreicht? Wünschenswert wären Kurzporträts der Kommentator:innen gewesen. Darüber hinaus dürften selbst überdurchschnittlich interessierte Laien, angezogen durch Titel und Outfit des Buches, an Verständnisgrenzen stoßen. Es geht bisweilen recht „fachchinesisch“ zu.
Keinesfalls ist Grubers fundiertem Buch die Legitimation abzusprechen, durchweg gut lesbar ist es indes – leider – nicht. Als allgemein zugänglicher Beitrag zum Schönberg-Verstehen kann es daher kaum betrachtet werden.
Gerhard Anders